Montag, 31. Dezember 2012

GrussBlues

Von den zeitgenössischen Kommunikationsmitteln nutze ich, neben dem Telefon, die Email. Mein Handy bimmelt zweimal am Tag, wenn die Tablettenration fällig ist, ansonsten ist es ausgeschaltet. Mit Emails kann man schnelle Briefwechsel führen und Schach spielen.
Und natürlich grüßen und gegrüßt werden. Besonders witzig sind Grußkarten: Eine Bilderfolge, ein Text, Musik, dazwischen was zum anklicken, das die Sache am laufen hält.
Jeder Gruß für sich ist ein Erlebnis, aber nach dem vierten in Folge fühle ich mich wie in einem Restaurant, in dem beim Menü eine leckere Suppe auf die andere folgt. Ich fange an, mich auf ein Schläfchen zu freuen. So erging es mir dieses Jahr vor Weihnachten, müde glitt die Hand von Maus und Tastatur, mit dem quälenden Gefühl, vielen Freunden bitter unrecht zu tun, versank ich im GrussBlues. Bei jedem werde ich mich wieder melden, ich schwöre es,
aber erstmal stand ich mit beiden Füßen auf dem Schlauch, es ging nix mehr rein und nix mehr raus. Prost Neujahr!

Mittwoch, 19. Dezember 2012

ZUR BERUHIGUNG

(Stichwort: Weltuntergang am 21.12.2012)

Die Maya haben das Rad nicht erfunden. Von der Welt hatten sie auch nicht viel Ahnung, Columbus kam von der anderen Seite. Und Prophezeiungen sind eine heikle Sache, besonders dann, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Mein Zimmer räume ich aber erst am 22. wieder auf, soviel Pragmatismus muß sein.

Nachtrag: Das Ende der Welt habe ich im Schwimmbad abgewartet, einen Untergang wollte ich nicht trocken erleben.

Foto 

Samstag, 24. November 2012

ZANKAPFEL

Fünf Freunde gehen spazieren. Unter einem Apfelbaum am Weg liegen zehn Äpfel. Sie stürzen sich darauf, es kommt zu einer Rauferei, fünf Äpfel werden zertrampelt, am Schluß hat einer zwei Äpfel, drei haben je einen Apfel, einer geht leer aus. Ein anderer Spaziergänger hat die Szene beobachtet und meint, wenn es friedlich abgegangen wäre, hätte ein jeder zwei Äpfel bekommen. Gemeinsam jagen ihn die fünf Freunde davon, was er sich denn einmische, er verstünde nichts davon und solle sich um seinen eigenen Kram kümmern. Nachts, in der Herberge, kann keiner schlafen. Einer hat Angst, daß ihm sein Apfel geklaut wird. Drei grämen sich, weil sie nicht beherzter gerauft haben, sonst hätten sie vielleicht auch zwei Äpfel ergattert. Und einer kann nicht schlafen, weil ihm der Magen knurrt. Der einzelne Passant liegt wach und ärgert sich, weil er sich hat fortjagen lassen.
Ein prima System, sagt die Wirtschaftswissenschaft, Konkurrenz belebt das Geschäft. Jeder bekommt, was ihm zusteht, Leistung muß sich lohnen, ohne daß jemand zum Denken gezwungen wird, was die Sache nur unnötig kompliziert macht. Richtig gut geht es den Mäusen unterm Apfelbaum: Stille Teilhaber, shareholder value. 
(Inspiriert von Jessy durch ein Gespräch über einen Songtext) 

Donnerstag, 11. Oktober 2012

TAUCHSIEDER

Als ich fünf Jahre alt war, erklärte mir meine Mutter, das Wichtigste im Leben sei, glücklich zu werden. Jahre später fragte mich ein Lehrer in der Schule, was ich später mal werden wolle. Ich antwortete: Glücklich!. Er meinte, ich habe die Frage nicht verstanden.
Ich entgegnete ihm, er habe das Leben nicht verstanden.“ Soweit John Lennon.
Dann schrieb mir eine Freundin, sie fände viele meiner Gedanken im Blog sehr inspirierend, sich mit dem eigenen Denken und Handeln zu beschäftigen. Da hab ich mich sehr gefreut, denn wenn mein eigener Hang zum Grübeln und Schmunzeln ansteckend wirkt, jubelt der Gutmensch in mir, der im Sinne John Lennons wirken will. Anatomisch sind wir so eingerichtet, daß das Klopfen auf die eigene Schulter wesentlich leichter fällt als der Tritt in den eigenen Hintern. Also hab ich mir auf die Schulter geklopft und beschlossen: Sollte in der nächsten Zeit ein Heiligenschein um mich aufflammen, werde ich einen Job als Tauchsieder im Hallenbad annehmen, um nebst dem Lebensglück noch die Ökoenergiebilanz zu verbessern. Ehrenamtlich, versteht sich
(Zeichnung von Bernd Kissel)


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Freitag, 28. September 2012

REGIETALENT

Der Regisseur blättert im Drehbuch und sagt den Schauspielern, wie das Leben spielen soll.
Es gibt Drehbücher verschiedener Kategorien: Steht der Held mit dem schönen Mädchen vor dem Traualtar, geht ein wohliges Raunen durchs Publikum: Das Leben ist nicht immer so ungerecht, wie es uns die Medien oft darstellen, die tröstliche Version. Brennt die Braut mit dem Pfarrer durch, macht sich Heiterkeit breit, zumindest bei denen, die Ähnliches noch nicht erlebt haben. Entschwindet der Pfarrer mit dem Bräutigam, wird der Film als Kunstwerk auf einem Festival mit einer Palme prämiert und anschließend im kommerziellen Giftschrank weggeschlossen. Sehen will das keiner. Es gibt aber nicht nur Regisseure. Viel größer ist die Zahl der Regietalente, die mit einem Drehbuch im Kopf durchs Leben gehen.
Nur selten stimmen Anspruch und Wirklichkeit überein, dauernd muß man sich aufregen. Die Begabtesten retten sich im Krisenfall, wenn es nichts zu meckern gibt, in den Konjunktiv. „Wenn Du die Wäsche nicht gewaschen hättest, wäre ich jetzt stinksauer!“
(Tonfall, als wäre sie noch schmutzig.) Ich halte es lieber mit dem Philosophen Franz Beckenbauer, der zu unrecht als Regisseur bezeichnet wird, weil er virtuos flexibel auf jede Spielsituation reagiert hat: „Schaun´mer mal, dann sehn mer schon.“Der Mann hat mit Sicherheit kein Drehbuch im Kopf. Könnten doch alle Regietalente dieser Welt bei Film und Fernsehen unterkommen und mich mit meinem geraden Fünfer in Ruhe lassen.

Montag, 17. September 2012

SEULB

Merlin, Gandalf, Voldemort, die Hexe im Märchen … , wer ihnen begegnet, lebt gefährlich.
Doch kein Zauber droht so Schreckliches, wie der, der seit Generationen in den Kaschemmen der Jazzmusik die Kunstschaffenden bedroht: Singe niemals einen Blues rückwärts! Sofort füllt sich dein Portemonnaie, deine Frau kommt zurück und du bist schlagartig nüchtern. Der arglose Tageslichtbewohner fragt sich, was daran so schlimm sei, aber die Nacht, die nicht allein zum schlafen da ist, hat ihre eigenen Gesetze. Kommt ein Musikant in die Jazzkneipe und es stellt sich heraus, daß er Bargeld bei sich trägt, kann er sich vor Freunden nicht retten. Der Ansturm wird vom Kneipenwirt beendet, der daran erinnert, daß noch Rechnungen aus den letzten sechs Monaten offenstehen. Das Geld reicht nicht ganz, die Freunde gehen leer aus, der Abend will nicht recht in Schwung kommen.
Sitzt einer auf der Bühne und singt, daß seine Frau ihn verlassen hat, kann er sich als Künstler anerkannt und ob seines traurigen Schicksals stellvertretend für alle einsamen Herzen bemitleidet fühlen. Sitzt die Frau zuhause, wartet, daß der Herr zum Abendessen kommt, wenigstens einen Teil der Gage abliefert und dann auf der Couch schläft, weil er stinkt, will das keiner hören, das Publikum will sich im Nachtklub amüsieren, und nicht an Dinge denken , die so schrecklich sind wie die Steuererklärung. „Füllest wieder Berg und Tal still mit Nebelglanz, lösest endlich auch einmal meine Seele ganz.“ So meiert es bieder in den Mittelgebirgen, in der Musikkneipe wie im Mississippidelta wabert der Nebel aus der Schnapsflasche direkt ins Gehirn. Und allein dieser vernebelte Kopf macht das Leben als Nachtklubmusikant erträglich, bisweilen sogar erstrebenswert. Deshalb: Singe niemals einen Blues rückwärts!

Mittwoch, 12. September 2012

MIT SCHACH UND KRACH

Die saarländische Schachjugend feierte ihren 30.Geburtstag. Eine weiße und eine schwarze Dame, letztere in leitender Position, fragten bei mir an, ob ich einen musikalischen Beitrag liefern möchte. Wenn die Spiele gespielt sind, König und Bauern zu ihren alten Schachteln zurückkehren, dann schlägt die Stunde der Grußworte, und der Musikant kann auf ein dankbares Publikum hoffen. Mir fiel auch schnell etwas Passendes ein: So wie es in der Geschichte eine Zeit vor und nach der Erfindung der Dampfmaschine gibt, seit der nichts mehr so ist wie früher, so gab es auch im Schach eine Zäsur, die sich an der Person des ersten Weltmeisters Wilhelm Steinitz sowie seines Nachfolgers Emanuel Lasker festmachen läßt. Das Schach der frühen Jahre ähnelte einer Horde Kinder beim Fußball, alle rennen zugleich hinter dem Ball her und stürmen Richtung Tor, in dem der gegnerische König auf verlorenem Posten steht, denn Verteidigung gab es nur als Begriffsdefinition eines Defizits.
Der Ritter stürmt voran, wer denkt da ans verstecken. Mit Steinitz und Lasker hielt die wissenschaftliche Methode Einzug. Positionsspiel, Stellungsanalyse, ein Plan muß her, der Erfolg kann auch durch einen simplen Mehrbauern errungen werden. Die Ritter hatten das Gefühl, zum Pilzesammeln geschickt zu werden. Doch wer die Nase rümpfte, bekam schnell eins drauf auf dieselbige. Musikalisch läßt sich das darstellen: Der Schachspieler sitzt vor seinen Figuren, der Musikant vor einer Wolke von möglichen Tonfolgen, beide versuchen, zu sortieren und ein kleines Kunstwerk auf den Weg zu bringen. Ich nahm mein Saxophon und spielte für die Ritter einen erdigen Blues, für Steinitz und Lasker nahm ich ein Thema aus dem 2.Satz der 9.Sinfonie von Dvorak, böhmischer Landsmann und Zeitgenosse von Steinitz, das Stück ist bekannt unter dem Namen „Aus der neuen Welt“, wo die beiden ersten Weltmeister viele Jahre verbrachten. Als Tonmaterial für diese zweite Improvisation verwendete ich Klänge aus der jüdischen Kleßmermusik, da die beiden aus Rabbinerfamilien stammten und die Tradition des jüdischen, dialektisch geprägten Denkens sich hier widerspiegelt. Diese Zusammenhänge erklärte ich kurz, bevor ich ein Stück zu spielen begann. Es gab viel Applaus, ich freute mich sehr und ging von der Bühne mit dem Gefühl, wenn ich in meinem Schachklub schon keiner der besten Spieler bin, dann bin ich wenigstens der lauteste. Immerhin, wenn diese Tugend in unserer Disziplin auch eher als zweitranging gilt. (Garry Kasparov möge mir diese Einschätzung verzeihen.)
(für anja13, mit der ich die 64 Felder pflüge)

Montag, 3. September 2012

ERNTEDANK

Erster Einsatz am 2.September, 3. Brett, 4. Mannschaft vom Schachklub. Freundlicher, starker Gegner, es entwickelt sich eine Partie, die richtig Spaß macht und für meine Verhältnisse sogar gute Ideen enthält . Einziger Wermutstropfen: Ich hab verloren. Ach ja, die Radieschen wachsen halt nicht in den Himmel, auch in der Kreisklasse läuft nicht alles rund. Philosophische Ausbeute: Schach widerlegt den Volksmund. Der zweitdümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln.

Sonntag, 26. August 2012

GEISTERFAHRER

Wird es richtig heiß in unseren Breiten, machen die Menschen schlapp. Für MS-Patienten ist Hitze nicht ungefährlich, wir sollten uns verkriechen und auf freundliche Wolken und aufmunternden Regen warten. An einem heißen Tag mußte ich zu einer Beerdigung. In der Friedhofskapelle war es kühl, in meinem Rolli sitzend konnte ich es aushalten.
Der Gang zum Grab, auf Kieswegen in praller Sonne, war aber zu gewagt. Ich blieb allein in der Kirche zurück, im Halbschatten nahe dem Eingang. Ein verspäteter Trauergast erschien in der Tür und blickte sich suchend um. Freundlich und mit leiser Stimme, dem Ort angemessen, sprach ich ihn an und erklärte ihm, auf welchem Weg er die Gemeinde finden würde. Er bedankte sich und eilte davon, aber die Unruhe in seinem Blick ließ in mir den Gedanken aufkommen, er hege den Verdacht, daß im Lauf des Tages eine Trauergesellschaft die Leiche nach der Aussegnung in der Kapelle vergessen hat, als sie sich auf den Weg zum Grab machte. Manchmal sehe ich offenbar so aus, wie ich mich fühle.

Mittwoch, 15. August 2012

KATZENKRAUT

Auf der Dachterasse stehen Blumenkübel mit Küchenkräutern. Beide Katzen lieben es, darin herum zu buddeln und ihr Geschäft hinein zu machen. Fluchen hilft nicht, und einzäunen auch nicht. Wenn es Kartoffeln und Gemüse aus dem Backofen gibt, mit Rosmarin aus eigenem Anbau, freu ich mich jedes mal, meine Frau kocht ausgezeichnet, und es schmeckt hervorragend. Ob es phantasielosen Menschen noch besser schmeckt?

FERNWEH

Professor Harald Lesch hat mich in einer Folge von „Alpha-Centauri“ überzeugt:
Das wichtigste Weltraum-Unternehmen der Menschheit war der Flug von Apollo 8.
Zum ersten mal wurde unser Planet aus einer Entfernung gesehen und photographiert, die erahnen läßt, wie klein und einsam die blaue Kugel im All schwebt. Das Bewußtsein der Menschen begann sich zu verändern. Wie ein filigranes Juwel, sagen die einen, wir sollten auf Zehenspitzen herumlaufen,, ganz leise und vorsichtig, es wäre eine Sünde, wenn etwas kaputt geht. Wie eine schöne Frucht, sagen andere, wir sollten den Saft herauspressen, es wäre eine Sünde, solch ein Geschenk liegen zu lassen und den Reibach nicht zu machen.
Hier liegt die Wurzel der Globalisierung, die Erfindung des Zwischennetz´ (dt „Internet“)
mit planetarer Omnipräsenz war folgerichtig. Der Weltbürger ist überall zugleich, ob in Peking das sprichwörtliche Fahrrad umfällt oder in Saarbrücken der Reis überkocht, alles findet seine Beachtung, rund um den Globus. „Auf den Schirm!“ befiehlt Captain Picard auf der Brücke der „Enterprise“, Wirklichkeit ist da, wo Strom fließt. Das provinzielle Leben beginnt mit dem Druck auf den Ausschaltknopf, der Reduktion auf den Tellerrand der eigenen Sinnesorgane. Das Fernweh brachte Menschen dazu, Reisen zu unternehmen, die uns heute nicht länger übers Dorf hinaus führen, auch wenn der Urlaub auf Hawaii stattfindet. Fernweh bedeutet, überall zur gleichen Zeit sein zu wollen, und wunderbarerweise geht das heute, gefahrlos und preiswert.

Montag, 13. August 2012

ABSCHIED (für Dimitri Gawlita)

Mein Schwiegervater starb überraschend. In der zweiten Nacht wurde mir klar, er war nicht nur der Vater meiner Frau, wir waren Freunde. Vor über zwanzig Jahren hatte er, der etablierte Anwalt, mich, den freischaffenden, dabei mäßig erfolgreichen Musikanten, in seiner Familie willkommen geheißen. Bei Familientreffen und -festen wurden wir nebeneinander gesetzt, die drei Mädels, Mutter und zwei Töchter, genossen die dadurch geschaffenen Freiräume. Wenn wir US-Amerikaner wären, hätte er in Washington gelebt und ich in San Franzisko, beide mit der Sehnsucht, Holzfäller in den Rocky Mountains zu sein, mit kariertem Hemd und Whiskyflasche in der Jackentasche, nach der Arbeit ein Teller Bohnen und dann Füße auf den Tisch. Richtige Männer, frei von Selbstzweifeln. Im Saarland blieb uns die Liebe zur großen und kleinen Eisenbahn, mit den Jahren kamen eine ganze Menge gemeinsamer Erlebnisse zusammen. Er stand in der Robe vor Gericht und leger in der Kanzlei, ich im Anzug auf der Bühne mit der Showband und in Jeans im Jazzkeller. (Je besser die Musik, desto schäbiger die Klamotten, gelegentliche Einsätze in Theater und Orchester ausgenommen, der Kapellmeister will ja nicht mit der Kneifzange dirigieren.) Er hat viele meiner Auftritte besucht und mir aus seinem Berufsleben erzählt.
Und er hatte an seinem Enkel so viel Spaß wie ich an meinem Sohn. Da es sich um dieselbe
Person handelt, war eine neue Gemeinsamkeit vorhanden. Er sorgte dafür, daß im Bücherregal neben Harry Potter auch Eulenspiegel, Münchhausen, die Schildbürger und Odysseus stehen, ich kümmerte mich um Mau-Mau, Mensch-ärgere-dich-nicht, Monopoly und Schach. Und immer wieder mal hatten wir Muskelkater im Genick vom Kopfschütteln über den jeweils anderen: Wozu braucht der Mensch drei Autos, wenn er nur einen Hintern hat, der bequem von A nach B befördert werden soll; wozu braucht der Mensch vier Altsaxophone, wenn er nur einen Mund zum Tuten hat. Wo das Verstehen nicht mehr ausreicht, behilft man sich mit Toleranz. Zwei Wochen zuvor saßen wir nach seinem Geburtstagsessen auf einem Mäuerchen vor dem Lokal, ich legte meinen Arm um seine Schulter und wir lächelten uns verschmitzt an. Das war unsere letzte Begegnung.

Samstag, 4. August 2012

ANGEMESSENE ANREDE


Liebe Zielgruppe zuhause an den Braun´schen Röhren“ begrüßte ein Moderator am Ende des letzten Jahrtausends, meines Wissens hieß er Moor, sein Publikum. Die Braun´sche Röhre ist passé, der Flachbildschirm hat sich durchgesetzt, das Gerät hat sich äußerlich seinem Inhalt angeglichen, für die verbliebenen Beiträge mit Tiefgang
reicht als Symbol die Steckerleiste unterm Tisch. Bezeichnet man sein Publikum als „Freunde“, „Fans“ oder „liebe Leser“, findet eine Überrumpelung statt: Es soll doch jedermann offenstehen, ob er mich als Freund sehen will, meine Texte gut findet, oder überhaupt Lust hat, zu lesen, was ungefragt aus der Steckdose kommt. Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus meinen Jahren als Unterhaltungsmusikant: Bierzelt in bester Stimmung, die Kapelle macht eine Pause, in einer vermeintlich stillen Ecke verzehre ich mit Appetit eine Bratwurst. Freudestrahlend kommt ein Mensch mit zehn Glas Bier auf mich zu, neun davon intus, eines überschwänglich überschwappend schwenkend. Die Prüfung hat begonnen, ich schalte um von innerer Emigration auf duldsame Freundlichkeit, eingewickelt in einen sehr langen Geduldsfaden und bedauere zutiefst die Abwesenheit einer gütigen Schicksalsfee in der Welt, die es gut mit mir meint. Solch ein Erlebnis kann intellektuell genauso zermürbend sein, wenn es dabei auch weniger stinkt.

DAS BÜHNENSCHWEIN


Ein menschliches Wesen, männlich oder weiblich, das sich auf einer Bühne, im öffentlichen Raum, wohlfühlt, und mit allen Situationen zurecht kommt, nennt man, als Kompliment gemeint, „Bühnenschwein“. Wenn Männer besonders männlich wirken wollen, sagen sie „Rampensau“, mit grollendem „R“ und zischender „Sau“, je flacher der Witz, desto hoch das Gefühl.
Es muß im letzten Kindergartenjahr gewesen sein, mein Sohn und ich waren unterwegs, einkaufen im Supermarkt hinter dem Prinzenweiher. Auf dem Weg zur Kasse kamen wir am Spirituosenregal vorbei. Ach ja, einen Wodka würde ich gern mal wieder trinken, kam mir in den Sinn, und ich streckte den Arm aus, der sofort von zwei kleinen Händen gepackt und runtergezogen wurde. „NEIN PAPA, KEINEN SCHNAPS KAUFEN“ Es war deutlich bis hinter die letzte Thunfischdose zu hören. Vorhang auf, Licht an, Riesenpublikum, Text vergessen. Erwartungsvoll grinsende Gesichter um mich herum, man glaubt es nicht, wie viele Menschen sich im Supermarkt zwischen zwei Regalreihen mal eben so aufhalten.
Das breiteste Grinsen neben und etwas unter mir, meinen Arm festhaltend. Versinken?
Verlockend, aber auch innigstes Flehen kann den Boden unter mir nicht erweichen. Da quiekt es leise und beruhigend in meinem Hinterkopf: In wievielen Bierzelten und Mehrzweckhallen hast Du eigentlich in den letzten zwanzig Jahren als Unterhaltungsmusikant allen Gefahren getrotzt und tapfer jeden Witz belacht? Jetzt bist Du eben selber mal einer, geht vorbei! Ich beginne ebenfalls zu grinsen, packe den Wodka in den Einkaufswagen und schlendere lässig weiter zur Kasse, dabei locker mit meinem Sohn parlierend. Das Publikum wendet sich enttäuscht ab, etwas väterliche Verzweifelung hätte es schon sein dürfen, vielleicht sogar ein Ausraster, aber ohne Gage ist eben nicht mehr drin.
Ich bin noch nicht mal rot geworden.

Freitag, 1. Juni 2012

DER LÄSTERSTEIN




Eine Freundin kam mich besuchen, sie trug ein pinkfarbenes Plastikband am linken Handgelenk und erzählte mir, sie sei kürzlich auf einem Seminar gewesen, das Armband sei ein Psychotrick.
Immer, wenn man über jemanden hinterrücks herzieht, vulgo lästert, oder wenn man Anwesende ärgert oder beleidigt, muß das Band den Arm wechseln. Hilfe zur Selbsterziehung, das Mundwerk legt ja schon mal los und spielt die gängigen CDs sozialer Interaktion ab, ohne den Verstand um Rat zu fragen, die Vernunft wird gar nicht erst geweckt. Die Kunst ist, möglichst lange einseitig zu bleiben. Die Gedanken sind dabei natürlich frei, irgendwo muß man unbehelligt rumtoben dürfen, es geht hier ums verbale. Da ich nicht gerne was am Arm trage, aber neugierig geworden war, nahm ich einen flachen Stein mit Kreuzmuster (Chiastolith), den mir ein Musikerfreund vor einigen Monaten geschenkt hatte, und steckte ihn mir in die linke Hosentasche. Die Wirkung ist verblüffend, ich kann nicht behaupten, nachdenklicher in meinen Äußerungen zu sein, aber es gelingt mir, im entscheidenden Moment die Klappe zu halten; der Stein soll in der linken Hosentasche bleiben, auch der Heilige ist nicht frei von Ehrgeiz. Es war aber ein Fehler, der Familie beim Abendessen davon zu erzählen. Meine Frau meinte trocken, es täte mir sicher gut, mein Mundwerk unter Kontrolle zu halten, mein Sohn erkannte sofort, welche Blöße ich mir mit dem Vorhaben gebe. Dialog: Geh bitte ins Bett. (Weder wird der Blick vom Buch gehoben, noch eine andere Reaktion auf meine Anwesenheit gezeigt) Geh ins Bett! Warte.... Geh ins Bett!!
Der Blick hebt sich, breites Grinsen: Steck den Stein in die andere Hosentasche. Ich erkläre den Zusammenhang zwischen Erziehungsnotwendigkeit und väterlicher Selbstbeherrschung.
Als er endlich im Bett liegt, trage ich den Stein immer noch links und bin von Stolz erfüllt. Sysiphos hatte gewiß einen Lästerstein in der Hosentasche, die Nachwelt hat die Sache nur etwas übertrieben, um seine Anstrengungen zu verdeutlichen.

RELATIVITÄT




Klamotten halten bei mir lang, ich gehe nur einkaufen, wenn es unumgänglich ist.
Jeans haben leider die Eigenschaft, in der Wäsche kürzer zu werden. Im Winter krempele ich die dicken Socken über die Hosenbeine, es sieht zwar komisch aus, hat man mir gesagt, aber ich
kenne Bilder von Alexander von Humboldt, wie er auf dem Chimborasso rumklettert, da hat er auch die Socken über die Hosen gekrempelt, man kann es damit also weit bringen. Aber so richtig
zieht das Argument nicht.
Wie siehst Du denn aus, Deine Jeans haben ja Hochwasser!!! Wird es wärmer, läßt sich nichts mehr kaschieren, die Hosenbeine sind zu kurz. Da hab ich sie abgeschnitten.
Jetzt sind sie lang genug.

Samstag, 21. April 2012

UNFREIWILLIG HEILIG

Als die Großmutter meiner Frau starb, erbten wir den Kater Muck und eine Waschmaschine. Muck hatte Angst vor Männern, es brauchte zwei Jahre geduldiger Bemühungen, bis er sich mit mir angefreundet hatte. Seither gelte ich als Katzenflüsterer. Die Waschmaschine war ein solider Klotz mit dem Charakter eines gestandenen Handwerkers: Wenn einer schafft, soll man es auch hören. Es klang, als würden in unserer Wohnung Hubschrauberrundflüge für Touristen unternommen.
(Für ADAC, Polizei oder Bundeswehr bestand wohl kaum Interesse, nur Touristen schauen sich alles an, Hauptsache sie haben eine Gelegenheit, ein bißchen vor sich selber abzuhauen.)
Als Großmutters Wohnung, leergeräumt war, standen noch zwei Holzengel herum, die keiner haben wollte. Scheitelhöhe stattliche 40cm. Da sie keine Angst vor mir hatten, bekamen sie ein neues Zuhause in meinem Arbeitszimmer. Sie heißen jetzt
Heilige Einfalt“ und „Heiliger Strohsack“ und wachen über meine Schachbücher.
Mit den beiden begann ich meine theologische Sammlung. Wenn es sich herumgesprochen hat, daß man christliche Kunst im Zimmer stehen hat, kommt schnell was zusammen. Ein Kruzifix schmeißt man nicht einfach so in den Müll, zwei
hab ich aus der Kneipe gerettet, als der Pächter wechselte, dazu die „Bratkartoffel-Madonna“, die Jahrzehnte auf der Fensterbank im Essensdunst stand. Bei mir dauerte es ein paar Wochen, bis sich der Geruch nach Bratkartoffeln verflüchtigt hatte. So wuchs die Anzahl der Kreuze, Kerzen und Rosenkränze, bis sie die optische Omnipräsenz eines ostfriesischen Windparks erreicht hatte. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig, denn wie einst die Kreuze am Wegesrand den Vorbeikommenden an die sündhaftigkeit seines Daseins und eine mögliche Erlösung durch tätige Reue gemahnten, erinnern uns heute die Windmühlen hartnäckig an kollektive (Umwelt)Sünden und versprechen dabei eine bessere Zukunft.
Für mich hatte die Sammlung zur Folge, daß mein schon immer vorhandenes Interesse an religiösen Themen verstärkt wurde. Ich nahm mir die Regel des heiligen Benedikt und suchte mir alles heraus, was sich auf den Musikunterricht anwenden läßt. Es ist gar nicht wenig, über Menschenkenntnis und Erziehung haben sich die Alten gründlich Gedanken gemacht. Beim Schach hilft Thomas von Aquin (im Nebenberuf mein Namenspatron). Er gibt den Rat, sich in einer Diskussion erst einmal die Argumentation des Gegenübers völlig zu eigen zu machen, bevor man zur Erwiderung ansetzt. Das befördert die Stichhaltigkeit der eigenen Gedankengänge im Gespräch wie auf dem Brett, wenn man nur in jede zweite Falle tappt, ist das schon ein Fortschritt.
Wir sind noch nicht im großen Festsaal angekommen, aber wir sind eingeladen und können schon die Lichter sehen und die Musik hören“ (Ernesto Cardenal)
Man muß das ganz weltlich verstehen.

ZOOLOGISCHER IRRTUM



Im Frühling, wenn es grün und warm wird, gehen Eltern und Großeltern mit Kindern und Enkeln, Tanten und Onkel mit Nichten und Neffen nicht zu vergessen, gern mal in den Zoo. Die Kleinen staunen, wie viele Bestandteile des Fernsehprogramms in nächster Nähe herumspazieren. Nur durch einen Zaun getrennt, kann man das Leben sogar riechen. Wegzappen läßt sich auch nichts, langweilige Momente muß man ertragen. Die Großen schwelgen in Natur und Erinnerungen.
Im Winter, wenn es weiß und kalt und Weihnachten wird und der Zoo geschlossen hat, gehen die Familien in die Kirche. Die Kleinen staunen noch mehr, das hier kennen sie eher nicht aus dem Fernsehen, sie lernen von den Großen, wie man sich feierlich fühlt und sind vom Treiben am Altar nicht einmal durch einen Zaun getrennt.
Die Großen schwelgen wieder in Erinnerungen und mancher denkt an das Schild am Käfig „BITTE NICHT FÜTTERN“ und tritt dann aus der Kirche aus.
Man will ja nichts falsch machen.

Samstag, 14. April 2012

MRT



Magnet-Resonanz-Tomographie, ein Verfahren, das Innere des Menschen mit Krach statt mit Röntgenstrahlen sichtbar zu machen. Man wird auf einer schmalen Liege in eine enge Röhre geschoben, in der man reglos verharren muß, damit die Bilder nicht verwackeln. Durch eine Nadel im Arm bekommt man Kontrastmittel eingeflößt. Wenn kein akuter Schub ansteht, muß ich alle paar Monate zur Routineuntersuchung die Prozedur mitmachen. Beim letzten Mal kam es zu einer netten Unterhaltung. Ich kam aus der Auskleidekabine, die Maschinistin bat mich auf die Liege, gab mir Ohrenstöpsel und stach mir die Nadel in die Armbeuge. Es wird eine Weile dauern. Das macht nichts, ich bin gern da drin. Da sind Sie der einzige, den ich kenne. Sie fährt mich hinein. Die Prozedur beginnt unüberhörbar. Ich komme schnell ins träumen, kein Schlaf, wohlgemerkt, dafür ist es zu laut. Wie immer viel zu schnell zu Ende, ich werde wieder ans Tageslicht geholt. Alles in Ordnung bei Ihnen? Danke, ja. Ich beschließe, ihr zu erzählen, was ich in der Röhre erlebe: Wenn es losgeht, kommt zuerst ein tiefes brummen Da-da-damm, da-da-damm, zwei Achtel, eine Viertel, das ist das Grundmotiv, es läuft die ganze Zeit durch, ich spüre es in der Wirbelsäule, sie vibriert vom Hals bis zum Po. Dann kommen die anderen Geräusche dazu, in verschiedenen Tonhöhen mit unterschiedlichen Rhythmen, nacheinander oder überlappend. Ich stelle mir vor, wie ich dazu auf meinem Saxophon spiele, denke mir Melodien aus, die von der Maschine um mich begleitet werden, es ist wie eine Meditation. Zwischendrin rollt sich das Saxophon auseinander, wird zu einem Schachbrett, die Mechanik zu Figuren, meist sind es Eröffnungsvarianten, mein Blindschach ist längst nicht so gut wie mein mentales Musizieren, aber die Verknüpfung von beidem ist ein Erlebnis der Extraklasse. Ah, ja. Ihr Blick wirkt etwas unsicher, als ob sie einen Fluchtweg sucht. Sie entfernt den Schlauch an meinem Arm , winkt mich schnell in die Kabine und sagt, ich solle im Zimmer gegenüber warten, der Arzt riefe mich dann auf. Ich erinnere mich, daß es in der Psychatrie heißt: „Nie dem Kranken wiedersprechen!“ Sie kommt dann noch im Wartezimmer vorbei und reicht mir mit ausgestrecktem Arm hastig die Daten-CD, die beweist, daß ich ein Gehirn habe (man kann es sehen!), wobei der Inhalt natürlich rätselhaft bleibt, mir selbst oft auch. Ich vermute, daß das Kontrastmittel inzwischen auf halluzinogene Wirkung untersucht wurde.

DER FAHRENDE RITTER



Mit Ach und Schach, oder: Es irrt der Mensch, solang er strebt. Vor einem Jahr habe ich in der DMSG-Zeitschrift einen Artikel mit dem Titel „Rook`n Rolli“ veröffentlicht, einen Bericht über das erste Schachturnier, an dem ich teilgenommen habe. „Rook“ ist der Turm auf Englisch, „Rolli“ ist mein Rollstuhl, mit dem ich bei solchen Veranstaltungen unterwegs bin. Jetzt war es wieder so weit, der fahrende Ritter zog aus zu neuen Abenteuern. Ich nahm wieder am D-Turnier der saarländischen Einzelmeisterschaft teil, und zu meiner großen Überraschung und Freude, ich habe gewonnen, mit Urkunde und Pokal. Das Kuvert mit dem Preisgeld habe ich meiner Frau geschenkt, sie muß mich schließlich ertragen, wenn ich in anderen Sphären schwebe. Das D-Turnier ist das Schlachtfeld der minderen Brüder, der Einstieg in die Welt des Turnierschachs, hier wird es ernst. Wenn man Schachspielen gelernt hat, verknüpft man zuerst mal in der Kindheit erworbene Tugenden mit einem Regelwerk, das zuerst einfach erscheint: Man muß sich was einfallen lassen, wenn man dem Gegner beikommen will. Die Bemühungen, Umsicht walten zu lassen und den Überblick zu behalten, ähneln dem Topfschlagen oder auch dem „Blinde-Kuh“-Spiel. Wird es brenzlig, versucht man, sich mit der Eleganz des Sackhüpfens aus der Affäre zu ziehen. Das Ende der Partie erreicht dann schon höchstes Niveau: Es gibt einen Sieger nebst Verlierer, oder ein Remis. Mehr kann auch der Weltmeister nicht herausholen, er erkennt nur früher als der Neuling, wo der Hase hinläuft, nicht nur, wenn kurz vor Ostern gespielt wird. Bleibt man am Ball, findet man heraus: Schachspielen ist wie Eisenbahn fahren: Wenn man den richtigen Plan hat, kommen auch die passenden Züge. Es erschließt sich die Welt der Taktik: Matt in einem Zug, Matt in zwei, Springergabel, Läuferspieß usw, ein Mikrokosmos der Tücke, den man durch stundenlanges Üben immer besser in den Griff bekommt. Schach ist ein Mannschaftssport, alle zur Party einladen. Sonst hat man noch zwei Faß Bier (die Türme) im Keller und das Fest ist längst zu Ende. Der Kundige spricht vom Entwickeln der Figuren. Am Brett stellt man fest, daß man nie darauf hingewiesen wird, wann denn nun das Matt in fünf Zügen, das den Gegner hinweg fegen soll, möglich ist, wenn überhaupt. Das Taktiktraining erinnert ans Minigolf: Deutlich hat man das Ziel vor Augen, das Loch, in dem der Ball verschwinden soll und aus dem ein Hohngelächter zu tönen scheint, wenn man es zum wiederholten mal nicht geschafft hat, die Hindernisse zu überwinden. Genauso lacht der schwarze König, der, umzingelt von weißen Figuren, immer noch ein Schlupfloch findet. Im Turnier ist mir schnell klar geworden, daß es nicht der virtuos gehandhabte Minigolfschläger ist, der einen in höhere Gefilde bringt. Man sollte ihn dabeihaben (Theodore Roosevelt: „Sprich freundlich und trage einen großen Knüppel bei dir“), er kann sehr nützlich werden, aber das Spiel ähnelt doch mehr einer Schnitzeljagd in unübersichtlichem Gelände. Man muß die Anhaltspunkte finden, die einen Plan erkennbar machen, einen Stadtplan so lesen, daß man auch den Verlauf der Wasser- und Stromleitungen erahnt. Es geht um das Verhältnis von Taktik und Strategie (Schachmeister Tartakower: „Taktik ist, was man tut, wenn was zu tun ist. Strategie ist, was man tut, wenn nichts zu tun ist“). Die nchste Stufe der Einsicht: Die Turnierpartie besteht aus dem Geschehen auf den 64 Feldern und dazu aus der Tagesform der beteiligten Spieler. Eine unglaubliche Melange aus Glück, abwechselnder Errettung durch Wunder, erhörte und verschmähte Stoßgebete, befolgte Ratschläge alter Hasen (Für Insider: „Bring ihn ins Endspiel und anschließend um“), Müdigkeit, Schwarzaus (neudeutsch „blackout“), der aber genauso den Spieler mit den weißen Steinen trifft, und die Einsicht, daß ich selbst mein schwerster Gegner bin mit meiner Überheblichkeit und Verzagtheit. An all das sollte man sich erinnern, wenn man in einer ruhigen Stunde, ausgeruht mit aller Zeit der Welt eine Partie nachspielt und vom Kopfschütteln schwindlig wird. Jetzt bin ich im „hohen Schach“ angekommen, wie man es früher nannte. Und schnell wurde mir klar, daß es eine erfüllende und die Zeit ausfüllende Betätigung ist, ganz so, wie ich es aus meinen aktiven Jahrzehnten als Musiker kenne. Die Vollkommenheit erreicht man im Land hinter dem Regenbogen, aber dort kommt man auch als Vogelscheuche hin, ich muß mir also keine Sorgen machen.


Dienstag, 14. Februar 2012

WIEDERKEHR DES GLEICHEN

WIEDERKEHR DES GLEICHEN
Wenn unsere Ahnen die Keulen und Faustkeile beiseite legten und in ihrem Kraal, so
wird es später in Südafrika genannt werden, beim Plausch im Kreise saßen, machten
sie sich Gedanken über die Götter. Für alle Bereiche des Lebens war ein Gott
zuständig, vermutlich nahm die Beschwörung für gutes Gelingen ähnlich viel Zeit in
Anspruch wie die sich anschließende Unternehmung selbst.
Dann kam eine Epoche, der Philosoph Karl Jaspers nennt sie die „Achsenzeit“, in der
das Denken große Fortschritte machte: Moses, Konfuzius, Buddha, Sokrates und
Jesus stehen für die Entwicklungen in Erkenntnis und Ethik. Unter anderem
reduzierte sich die Anzahl der Götter auf einen, mit weniger menschlichen
Eigenschaften als vielmehr echter Menschlichkeit in seinem Sinnen und Trachten.
Die geistige Entwicklung der Menschheit schritt weiter voran, die Welt wurde ohne
göttliche Hilfe erklärbar und verständlich.
An die Stelle der Gedanken über Götter trat die Vergötterung der Gedanken.
Hatte man früher aus der Bibel zitiert, um einen Standpunkt zu untermauern, schreibt
man jetzt: „Die Wissenschaft hat festgestellt, daß …“ Dabei wird die Quelle nicht
mal so genau angegeben, wie das bei Bibelzitaten üblich ist, hauptsache, es wird
allgemein daran geglaubt.
Nach der historisch durchgeführten Bankrotterklärung der rationalen Ethik hat sich
die Wirtschaftskraft menschlicher Gemeinschaften als verlässlichster Glaubensinhalt
erwiesen. Der Mammon wird angebetet, die Schar der Engel vertritt das Automobil
und der Heilige Geist führt sein Dasein im Versicherungswesen weiter.
Wir sitzen wieder im Kraal, huldigen dem alten Aberglauben, jetzt aber gottseidank
mit Krankenkasse, damit wir länger die Zähne zusammenbeißen können.

Dienstag, 7. Februar 2012

DER HAMMER

„Je höher der Affe am Mast klettert, desto mehr sieht man seinen Arsch“
(US-General „Stormin´Norman“ Gruntz auf die Frage, warum er nicht fürs
Präsidentenamt kandidiere).
Im 8.Jahrhundert war Karl Martell, sein Name bedeutet „der Hammer“, Hausmeier
im Frankenreich, also eine Art Premierminister. Souverän war der König aus dem
Geschlecht der Merowinger, hatte aber keine Macht mehr. Karl Martell setzte ihn
schließlich ab und etablierte seine eigene Familie, die Karolinger. Sein Enkel Karl der
Große war so bedeutend, daß er heute gleich für mehrere mitteleuropäische Staaten
als politischer Gründervater herhalten muß, er schafft das locker ohne Verlust an
Würde, denn er hat wohl schon zu seiner Zeit an die EU geglaubt.
Wenn heute jemand danach strebt, es dem Hammer gleich zu tun, stellt sich ihm die
Frage, wie kommt man dem Souverän bei. Der ist laut Verfassung das ganze Volk.
Man muß es sich wie ein großes Netz vorstellen: Die große Mehrheit sind die Löcher,
ihrem Wesen nach nicht greifbar. Dazwischen sind die Knoten, verbunden durch
Schnüre, aus denen sie selbst auch bestehen. Hier wird der Begriff „Seilschaft“
bereits deutlich. Die Knoten bilden das, was man auch „einflußreiche Kreise“ nennt,
falls einer ein Hammer sein will, von hier wird er geschwungen. Wenn er fest daran
glaubt, selbst zu entscheiden, welchen Nagel er trifft, kann er zufrieden alt werden.
Wenn er aber für das Netzwerk unerträglich wird, legt man ihn auf die Seite. Sanft
und freundlich, wer will schon Aufruhr im Werkzeugkasten

Montag, 6. Februar 2012

...WIE DICH SELBST

Meine altruistische Grundausbildung erhielt ich bei den katholischen Pfadfindern.
Daß sie nie zu einer Massenbewegung wurden, liegt vielleicht an der unzureichenden
Zahl von Omas und Blinden, die über die Straße geführt werden können. Da das
Motto „Jeden Tag eine gute Tat“ lautet, werden Hilfsbedürftige schnell zu Opfern der
Planerfüllung.
Aus allem kann man einen Wettbewerb machen, selbst aus Glaubensbemühungen. In
der christlichen Frühzeit standen meditierende Männer auf Säulen, deren Höhe
beständig zunahm, um einen Zuwachs an Frömmigkeit zu symbolisieren (Styliten
oder Säulenheilige genannt). Bis jemand erklärte, das sei Unsinn, ein Loch grub, und
sich meditierend hineinsetzte. Daraus entwickelte sich ein ganzer Berufszweig, der
einigen Regionen (z.B. Saarland, Ruhrgebiet) beträchtlichen Wohlstand brachte.
Ein kluger Kopf brachte Beten und Buddeln zusammen (ora et labora), begründete
damit das abendländische Klosterleben, dessen Tugenden auch die katholischen
Pfadfinder nachhaltig prägten.
Minder begnadete Religionspädagogen reden uns ein, Nächstenliebe bedeute, statt
behaglich am eigenen Daumen zu lutschen, den der Mitmenschen zu nehmen. Der
Einzug ins Himmelreich koste eben Überwindung. Dabei sind wir eine Gattung,
deren Nachwuchs jahrelange Betreuung braucht, es liegt in unserer Natur, uns um
andere zu kümmern. Kommt man diesem Bedürfnis nach, stellt sich Wohlbefinden
ein, ohne daß es einem schlecht wird.

Donnerstag, 26. Januar 2012

RASEN MÄHEN

Die zehn Gebote und der kategorische Imperativ haben eines gemeinsam:
Sie setzen voraus, daß der Mensch nachdenkt, bevor er was tut. Er lebt dann wie der
Wichtel im Märchen, die Welt ist bunt und geheimnisvoll wie eine Wiese.
Forschergeist, Zeitgeist und Weingeist spuken umher, für Abwechslung und
Überraschungen ist gesorgt, für Irrtümer und Zweifel natürlich auch.
Wem das zu unsicher ist, der kann sich an die Leute dranhängen, die behaupten,
Moses und Kant so gut verstanden zu haben, daß sie deren Prinzipien in verbindliche
Gesetze übertragen können (glatt gelogen, kein System läßt sich aus sich selbst
heraus beweisen, weder in der Logik noch in der Philosophie), so daß man sich das
eigene Denken ersparen kann. Die Wiese wird zum kurzgemähten Rasen, aus den
Wichteln werden Gartenzwerge, die vor allem Angst haben, was auf der anderen
Seite des Zaunes ist. Die Übersichtlichkeit nimmt natürlich zu.

Dienstag, 24. Januar 2012

HASENKRANZ

Eine Woche vor Weihnachten hat meine Frau Geburtstag. Doppeltes Pech, denn für
beide Feste reduziert sich zwangsläufig die Anzahl der Geschenke. Dann hat sie noch
eine Zwillingsschwester, in diesem Fall auch kein Segen. Aber dafür feiert sie jedes
Jahr Geburtstag mit Adventskranz. Wird man älter, tritt das Materielle in den
Hintergrund, der Adventskranz als romantischer Faktor gewinnt an Bedeutung.
Mein Geburtstag liegt im Juli, für ein Kind optimal zwischen Ostern und
Weihnachten, der von meiner Schwester Anfang November, ausreichend entfernt.
Mittlerweile im romantischen Teil meines Lebens angekommen, wollte ich auch mal
einen Adventskranz zum Geburtstag haben. Weihnachten 2010 war weiß wie im
Bilderbuch. Nach dem Fest trug ich den Adventskranz in mein Arbeitszimmer und
begann, mich zu freuen. Die Kerzen hab ich nie wieder angezündet, der Knilch
entwickelte einen sehr trockenen Humor. Ostern war er von Schokoladenhasen
umgeben und mit einer Hasenkerze (sowas gibt’s!) und einem von meinem Sohn
gebastelten Eierbecher aus Papier geschmückt. Seitdem hieß er „Hasenkranz“.
Dann stand er auf meinem Geburtstagstisch, ich freute mich wie ein Schneekönig,
während die Aktion von meiner Frau eher skeptisch aufgenommen wurde. Kabarett,
Satire und Humor sind ja im Fernsehen ganz nett, aber den Witzbold im Wohnzimmer
kann man eben nicht wegzappen. Unserem Sohn gefiel das Ganze, und so stand der
Hasenkranz auch auf seinem Geburtstagstisch Anfang Oktober. Am 1.Advent schloß
sich der Jahreskreis, der „Alte“ traf den „Neuen“.
Weihnachten 2011 war ein Sauwetter. Zu warm, trüb, von Schnee keine Spur,
irgendwas stimmte nicht mit der Jahreszeit. Sollte ich mit meinem Experiment etwas
durcheinander gebracht haben? Eine weihnachtliche Osterinfektion? Sommergrippe
in den Wolken? Von der Idee, den Weihnachtsbaum mit Haarspray zu konservieren
und das Unternehmen im größeren Stil zu wiederholen, nahm ich vorsichtshalber
Abstand, aber nur, weil ich ihn in mein Arbeitszimmer hätte stellen müssen.
Ich bin nicht abergläubisch, das bringt Unglück

Mittwoch, 11. Januar 2012

BRUMMKREISEL

Meine Frau hat eine nostalgische Ader. Von einem TaiChi-Trainingswochenende am
Bodensee zurück, schwärmte sie von den dort besichtigten prähistorischen
Pfahlbauten. Am nahe unserer Wohnung gelegenen Prinzenweiher ist das Errichten
von Wohnungen auf Stelzen untersagt, und das Risiko, daß ich mit dem Rollstuhl aus
dem Schlauchboot kippen könnte, mag ich nicht eingehen, da das Verklappen
umweltschädigender Substanzen in Binnengewässern verboten ist.
Kommt im Fernsehen eine Serie der Art „Leben wie vor hundert Jahren“, verpaßt
meine Frau keine Folge, als die Autos noch wieherten, war das Lebenstempo deutlich
entschleunigter, zur lähmenden Sinnsuche war dabei keine Zeit, es gab zu viel zu tun.
Glücklicherweise nähern wir uns seit der Einführung des Biosprits wieder dem Ideal,
unsere Fortbewegung durch Hafer zu bewerkstelligen.
Besteht ein Spielzeug aus Holz, ist es gut, blättert die Farbe ab, ist es besser, und
wenn es dazu ohne bewegliche Teile auskommt, ist es am besten. Ein Kreisel zum
Beispiel,, den frühere Generationen mit Stock und Schnur durchs Dorf jagten. Hat
man nur ein einziges Spielzeug, entwickeln sich auch die nötigen Fertigkeiten, die
späteren Generationen unvorstellbar sind. Mit dem Computer ist es übrigens das
gleiche, nur das es hier die früheren Generationen sind, denen die Fertigkeiten der
Kinder unvorstellbar vorkommen.
Einmal im Jahr fahren wir an den Stockweiher, Familienurlaub. (Für einen Mann mit
Krücken der einzige angemessene Ort.) Die Fahrt dauert eine Stunde, keine
Autobahn, in Frankreich ein Kreisverkehr nach dem anderen. Bei der Einfahrt in den
ersten kommt mir ein Gedanke: „MMMMMMMMMMMMMMMM“ (nicht zu laut)
Spinnst Du? Fragt die Fahrerin. Nein, sag ich, das ist ein Brummkreisel! Auf dieses
Stichwort hat unser Sohn nur gewartet. Zweiter Kreisverkehr: „MMMMMMMMM“
und „mmmmmmmmmmmmmmm“ von hinten. Ab dem fünften wird die Fahrerin
ungehalten, am Zielort ist sie genervt und urlaubsreif. Vor der Heimfahrt müssen die
Männer schwören, die Klappe zu halten. Daß die Leute aber auch keinen Spaß
verstehen!

Dienstag, 10. Januar 2012

BIONIK

BIONIK
So nennt man es, wenn Erfindungen bei Mutter Natur abgekupfert werden und dann
in der technischen Zivilisation zum Einsatz kommen.
Wir fuhren durch ein abgelegenes Tal im Elsaß. Die Straße verlief am Rand, in der
Mitte schlängelte sich ein Bach durch dichtes Gestrüpp und hohe Gräser, die
durchaus für Schilf durchgehen konnten. Papa, ist das ein Moor? Fragte unser Sohn,
gerade in dem Alter angekommen, in dem man die Welt differenziert wahrzunehmen
beginnt. Ja, das ist ein Moor, deswegen gibt’s hier keine Bäume, der Boden ist hier
trügerisch weich, man versinkt sofort, wenn man von der Straße abkommt.
Meine Frau begann die Augen zu verdrehen, zum Glück herrschte kein Verkehr, der
uns zu einem Abstecher in den Sumpf hätte zwingen können, wenn die Fahrerin ein
eingeschränktes Sichtfeld hatte.
Papa, was machen die Kühe da am Bach, die können doch leicht versinken.
Mit dem Versinken begann die Glaubwürdigkeit meiner Erläuterungen, doch dann
konnte ich es sehen: Das sind keine gewöhnlichen Kühe, das sind Sumpfgrasbüffel.
Schaut man genau hin, erkennt man , daß ihre Hufe keine Abdrücke auf dem Boden
hinterlassen. Fische können im Wasser schwimmen, weil sie eine Schwimmblase
haben, mit Gas gefüllt, die ihnen gerade so viel Auftrieb verleiht, wie sie benötigen.
Die Sumpfgrasbüffel fressen das Sumpfgras, das dafür bekannt ist, starke Blähungen
zu verursachen. Und sie nutzen dieses Phänomen, um ganz dicht über dem Boden zu
schweben. Ein technisch begabter Mann hat das am Ende des 19. Jahrhunderts genau
beobachtet und so die Bionik begründet. Er hieß Ferdinand Graf von Zeppelin, und
ein aus dieser Beobachtung resultierender Geistesblitz hat ihm Weltruhm beschert.

Montag, 9. Januar 2012

HEINZELFRAUCHEN



Heinzelmännchen und ähnliche Wichte treten in vielen Kulturkreisen auf, auch bei uns um die Ecke, wie ich herausfand. Meist sind es hilfsbereite Geister, dem Menschen wohlgesonnen, wenn man sie in Ruhe gewähren läßt und hin und wieder wie zufällig kleine Gaben an geeigneter Stelle plaziert.
In unserer Wohnung ist da was schief gegangen: Statt nachts aufzuräumen, die Schuhe zu putzen und leise mein Übepensum an den Instrumenten zu verrichten, tragen sie zur Unordnung bei: Eine schmutzige Tasse, ein Schokoladenpapier, leergefressen und zerknüllt, ein benutzter Zahnstocher, dazu verschwundene Bücher, und alles so angerichtet, daß der Verdacht unweigerlich auf meine Frau fällt. Dabei führt sie einen von tiefen Seufzern begleiteten verzweifelten Kampf gegen das familiäre Chaos. Aber nicht alle Schuldzuweisungen treffen uns Männer zurecht.
In einer stillen Nacht legte ich mich auf die Lauer, als ich leise Schritte hörte. Zuerst dachte ich, es seien die Katzen, aber dann waren menschliche Stimmen zu vernehmen, weibliche menschliche Stimmen. Das bedeutete: Heinzelfrauchen!
Aus der belauschten Unterhaltung erfuhr ich den Namen der Anführerin. Die ist ja weltberühmt, dachte ich, als bei mir der Groschen fiel. Die kenne ich aus dem Staatstheater, das war „Messie Mecker“!

KARRIEREGIPFEL

Seit Jahren wohne ich über einer Kneipe. Eine Zeit lang war ein Herr Papst der
Geschäftsführer. Ab und an war ich dann derjenige, den der Papst von unten
angerufen hat. Diese Erinnerung tröstet mich immer mal wieder über meine
ansonsten eher bescheidene Stellung im Leben hinweg.

Samstag, 7. Januar 2012

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Für meine nautischen Erfahrungen war meine Tante zuständig. Zuerst fuhr sie
mit meiner Schwester und mir in den Urlaub auf die Nordseeinsel Langeoog.
Da ich bis dahin nur in einem Schwimmring sitzend durch das
Nichtschwimmerbecken des Bürstädter Waldschwimmbads gepaddelt war, kam
die Überfahrt von der Küste nach der Nordseeinsel meiner aus einem Meer von
Büchern angelesenen Vorstellung von Kap Hoorn schon recht nahe.
Ein paar Jahre später nahm sie mich nach Mannheim ins Nationaltheater mit:
Richard Wagner, der fliegende Holländer. Ich war beeindruckt.
Wieder ein paar Jahre später begann ich das Schicksal dieses armen Mannes zu
verstehen, daß es mich selbst treffen sollte, und dazu noch trockenen Fußes, fiel
mir im Traum nicht ein, denn solch schauerliche Flüche gehören doch ins Reich
der Fabel, dachte ich.
Meine Frau wurde schwanger und erklärte mir nach ein paar Wochen, daß ihr
das putzen des Katzenklos aus gesundheitlichen Gründen verwehrt sei, der Arzt
habe sie dringend gewarnt. Bislang hatten wir uns diese Arbeit geteilt, jetzt
übernahm ich gerne ihren Anteil, die Hauptarbeit an der Reproduktion blieb ja
doch an ihr hängen, und so eine Schwangerschaft dauert ja nicht ewig.
Doch ich hatte die Rechnung ohne den Fluch gemacht. Unser Sohn kam auf die
Welt, das Katzenklo blieb an mir hängen, denn über ein tatsächliches Ende
einer Schwangerschaft kann ich als Mann aus biologischen Gründen nur
theoretische Vermutungen anstellen, die auf der anderen Seite der Schöpfung
nicht zwingend ernst genommen werden müssen.
So ist also das fliegende holländische Katzenklo auf ewige Zeiten mein
Schicksal, ohne Aussicht auf Erlösung, denn jetzt, zehn Jahre später, spricht
unser Sohn immer öfter davon, welche Art von Katze er als nächstes haben
möchte, wenn unsere einst nicht mehr am Leben sind.

DORNRÖSCHEN WAR EIN SCHÖNES KIND

Silvester 1999 stand ich in einem Sporthotel in Garmisch-
Partenkirchen zum letzten Mal als Unterhaltungsmusikant auf der
Bühne, um ein neues Jahr mit lautem Tuten zu begrüßen. Seither
verbringe ich den Jahreswechsel in meiner Wohnung und genieße es,
in Ruhe gelassen zu werden. Dank meiner gesundheitlichen Situation
nimmt es mir auch niemand übel, wenn ich Einladungen zu Partys
ausschlage, es macht keinen Sinn, bei Freunden todmüde auf der
Coach zu liegen und jedem ein schlechtes Gewissen anzuhängen, der
statt Mitleid Spaß am Feiern empfindet, während ich daheim einen
interessanten Abend mit den nötigen Ruhepausen verbringen kann.
Frau und Kind gingen zu Freunden, die Katzen hatten mich für sich.
Ich zerschnitt einen Berg Pappkartons fürs Altpapier, machte
„Feldenkrais“-Übungen unterm Tannenbaum, spielte Klavier zu der
CD „Buena Vista Social Club“ und lag zwischendurch mit den zwei
Katzen auf dem Sofa. Könnte ich Harfe spielen, wäre ich im Himmel
gewesen, mit dem Klavier reicht es nur fürs Paradies. Gegen
Mitternacht stellte ich in der Küche den Wasserkocher an und ging
zur Toilette. Schon Ernst Jandl hat in seinem Gedicht „Scheissender
Mann“ die Monotonie des immer gleichen Vorgangs beschworen, der
das Sein von der Zeit löst. Buddha erlebte die Erleuchtung im
Sitzen. Von vornehmer Erziehung, hat er einen Teil der Wahrheit
verschwiegen. Als ich in die Küche zurück kam, war ein Jahr ins Land
gegangen. Ich war heiter und gelassen und dachte: Dornröschen hat
was Tolles erlebt.