Donnerstag, 26. Januar 2012

RASEN MÄHEN

Die zehn Gebote und der kategorische Imperativ haben eines gemeinsam:
Sie setzen voraus, daß der Mensch nachdenkt, bevor er was tut. Er lebt dann wie der
Wichtel im Märchen, die Welt ist bunt und geheimnisvoll wie eine Wiese.
Forschergeist, Zeitgeist und Weingeist spuken umher, für Abwechslung und
Überraschungen ist gesorgt, für Irrtümer und Zweifel natürlich auch.
Wem das zu unsicher ist, der kann sich an die Leute dranhängen, die behaupten,
Moses und Kant so gut verstanden zu haben, daß sie deren Prinzipien in verbindliche
Gesetze übertragen können (glatt gelogen, kein System läßt sich aus sich selbst
heraus beweisen, weder in der Logik noch in der Philosophie), so daß man sich das
eigene Denken ersparen kann. Die Wiese wird zum kurzgemähten Rasen, aus den
Wichteln werden Gartenzwerge, die vor allem Angst haben, was auf der anderen
Seite des Zaunes ist. Die Übersichtlichkeit nimmt natürlich zu.

Dienstag, 24. Januar 2012

HASENKRANZ

Eine Woche vor Weihnachten hat meine Frau Geburtstag. Doppeltes Pech, denn für
beide Feste reduziert sich zwangsläufig die Anzahl der Geschenke. Dann hat sie noch
eine Zwillingsschwester, in diesem Fall auch kein Segen. Aber dafür feiert sie jedes
Jahr Geburtstag mit Adventskranz. Wird man älter, tritt das Materielle in den
Hintergrund, der Adventskranz als romantischer Faktor gewinnt an Bedeutung.
Mein Geburtstag liegt im Juli, für ein Kind optimal zwischen Ostern und
Weihnachten, der von meiner Schwester Anfang November, ausreichend entfernt.
Mittlerweile im romantischen Teil meines Lebens angekommen, wollte ich auch mal
einen Adventskranz zum Geburtstag haben. Weihnachten 2010 war weiß wie im
Bilderbuch. Nach dem Fest trug ich den Adventskranz in mein Arbeitszimmer und
begann, mich zu freuen. Die Kerzen hab ich nie wieder angezündet, der Knilch
entwickelte einen sehr trockenen Humor. Ostern war er von Schokoladenhasen
umgeben und mit einer Hasenkerze (sowas gibt’s!) und einem von meinem Sohn
gebastelten Eierbecher aus Papier geschmückt. Seitdem hieß er „Hasenkranz“.
Dann stand er auf meinem Geburtstagstisch, ich freute mich wie ein Schneekönig,
während die Aktion von meiner Frau eher skeptisch aufgenommen wurde. Kabarett,
Satire und Humor sind ja im Fernsehen ganz nett, aber den Witzbold im Wohnzimmer
kann man eben nicht wegzappen. Unserem Sohn gefiel das Ganze, und so stand der
Hasenkranz auch auf seinem Geburtstagstisch Anfang Oktober. Am 1.Advent schloß
sich der Jahreskreis, der „Alte“ traf den „Neuen“.
Weihnachten 2011 war ein Sauwetter. Zu warm, trüb, von Schnee keine Spur,
irgendwas stimmte nicht mit der Jahreszeit. Sollte ich mit meinem Experiment etwas
durcheinander gebracht haben? Eine weihnachtliche Osterinfektion? Sommergrippe
in den Wolken? Von der Idee, den Weihnachtsbaum mit Haarspray zu konservieren
und das Unternehmen im größeren Stil zu wiederholen, nahm ich vorsichtshalber
Abstand, aber nur, weil ich ihn in mein Arbeitszimmer hätte stellen müssen.
Ich bin nicht abergläubisch, das bringt Unglück

Mittwoch, 11. Januar 2012

BRUMMKREISEL

Meine Frau hat eine nostalgische Ader. Von einem TaiChi-Trainingswochenende am
Bodensee zurück, schwärmte sie von den dort besichtigten prähistorischen
Pfahlbauten. Am nahe unserer Wohnung gelegenen Prinzenweiher ist das Errichten
von Wohnungen auf Stelzen untersagt, und das Risiko, daß ich mit dem Rollstuhl aus
dem Schlauchboot kippen könnte, mag ich nicht eingehen, da das Verklappen
umweltschädigender Substanzen in Binnengewässern verboten ist.
Kommt im Fernsehen eine Serie der Art „Leben wie vor hundert Jahren“, verpaßt
meine Frau keine Folge, als die Autos noch wieherten, war das Lebenstempo deutlich
entschleunigter, zur lähmenden Sinnsuche war dabei keine Zeit, es gab zu viel zu tun.
Glücklicherweise nähern wir uns seit der Einführung des Biosprits wieder dem Ideal,
unsere Fortbewegung durch Hafer zu bewerkstelligen.
Besteht ein Spielzeug aus Holz, ist es gut, blättert die Farbe ab, ist es besser, und
wenn es dazu ohne bewegliche Teile auskommt, ist es am besten. Ein Kreisel zum
Beispiel,, den frühere Generationen mit Stock und Schnur durchs Dorf jagten. Hat
man nur ein einziges Spielzeug, entwickeln sich auch die nötigen Fertigkeiten, die
späteren Generationen unvorstellbar sind. Mit dem Computer ist es übrigens das
gleiche, nur das es hier die früheren Generationen sind, denen die Fertigkeiten der
Kinder unvorstellbar vorkommen.
Einmal im Jahr fahren wir an den Stockweiher, Familienurlaub. (Für einen Mann mit
Krücken der einzige angemessene Ort.) Die Fahrt dauert eine Stunde, keine
Autobahn, in Frankreich ein Kreisverkehr nach dem anderen. Bei der Einfahrt in den
ersten kommt mir ein Gedanke: „MMMMMMMMMMMMMMMM“ (nicht zu laut)
Spinnst Du? Fragt die Fahrerin. Nein, sag ich, das ist ein Brummkreisel! Auf dieses
Stichwort hat unser Sohn nur gewartet. Zweiter Kreisverkehr: „MMMMMMMMM“
und „mmmmmmmmmmmmmmm“ von hinten. Ab dem fünften wird die Fahrerin
ungehalten, am Zielort ist sie genervt und urlaubsreif. Vor der Heimfahrt müssen die
Männer schwören, die Klappe zu halten. Daß die Leute aber auch keinen Spaß
verstehen!

Dienstag, 10. Januar 2012

BIONIK

BIONIK
So nennt man es, wenn Erfindungen bei Mutter Natur abgekupfert werden und dann
in der technischen Zivilisation zum Einsatz kommen.
Wir fuhren durch ein abgelegenes Tal im Elsaß. Die Straße verlief am Rand, in der
Mitte schlängelte sich ein Bach durch dichtes Gestrüpp und hohe Gräser, die
durchaus für Schilf durchgehen konnten. Papa, ist das ein Moor? Fragte unser Sohn,
gerade in dem Alter angekommen, in dem man die Welt differenziert wahrzunehmen
beginnt. Ja, das ist ein Moor, deswegen gibt’s hier keine Bäume, der Boden ist hier
trügerisch weich, man versinkt sofort, wenn man von der Straße abkommt.
Meine Frau begann die Augen zu verdrehen, zum Glück herrschte kein Verkehr, der
uns zu einem Abstecher in den Sumpf hätte zwingen können, wenn die Fahrerin ein
eingeschränktes Sichtfeld hatte.
Papa, was machen die Kühe da am Bach, die können doch leicht versinken.
Mit dem Versinken begann die Glaubwürdigkeit meiner Erläuterungen, doch dann
konnte ich es sehen: Das sind keine gewöhnlichen Kühe, das sind Sumpfgrasbüffel.
Schaut man genau hin, erkennt man , daß ihre Hufe keine Abdrücke auf dem Boden
hinterlassen. Fische können im Wasser schwimmen, weil sie eine Schwimmblase
haben, mit Gas gefüllt, die ihnen gerade so viel Auftrieb verleiht, wie sie benötigen.
Die Sumpfgrasbüffel fressen das Sumpfgras, das dafür bekannt ist, starke Blähungen
zu verursachen. Und sie nutzen dieses Phänomen, um ganz dicht über dem Boden zu
schweben. Ein technisch begabter Mann hat das am Ende des 19. Jahrhunderts genau
beobachtet und so die Bionik begründet. Er hieß Ferdinand Graf von Zeppelin, und
ein aus dieser Beobachtung resultierender Geistesblitz hat ihm Weltruhm beschert.

Montag, 9. Januar 2012

HEINZELFRAUCHEN



Heinzelmännchen und ähnliche Wichte treten in vielen Kulturkreisen auf, auch bei uns um die Ecke, wie ich herausfand. Meist sind es hilfsbereite Geister, dem Menschen wohlgesonnen, wenn man sie in Ruhe gewähren läßt und hin und wieder wie zufällig kleine Gaben an geeigneter Stelle plaziert.
In unserer Wohnung ist da was schief gegangen: Statt nachts aufzuräumen, die Schuhe zu putzen und leise mein Übepensum an den Instrumenten zu verrichten, tragen sie zur Unordnung bei: Eine schmutzige Tasse, ein Schokoladenpapier, leergefressen und zerknüllt, ein benutzter Zahnstocher, dazu verschwundene Bücher, und alles so angerichtet, daß der Verdacht unweigerlich auf meine Frau fällt. Dabei führt sie einen von tiefen Seufzern begleiteten verzweifelten Kampf gegen das familiäre Chaos. Aber nicht alle Schuldzuweisungen treffen uns Männer zurecht.
In einer stillen Nacht legte ich mich auf die Lauer, als ich leise Schritte hörte. Zuerst dachte ich, es seien die Katzen, aber dann waren menschliche Stimmen zu vernehmen, weibliche menschliche Stimmen. Das bedeutete: Heinzelfrauchen!
Aus der belauschten Unterhaltung erfuhr ich den Namen der Anführerin. Die ist ja weltberühmt, dachte ich, als bei mir der Groschen fiel. Die kenne ich aus dem Staatstheater, das war „Messie Mecker“!

KARRIEREGIPFEL

Seit Jahren wohne ich über einer Kneipe. Eine Zeit lang war ein Herr Papst der
Geschäftsführer. Ab und an war ich dann derjenige, den der Papst von unten
angerufen hat. Diese Erinnerung tröstet mich immer mal wieder über meine
ansonsten eher bescheidene Stellung im Leben hinweg.

Samstag, 7. Januar 2012

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

Für meine nautischen Erfahrungen war meine Tante zuständig. Zuerst fuhr sie
mit meiner Schwester und mir in den Urlaub auf die Nordseeinsel Langeoog.
Da ich bis dahin nur in einem Schwimmring sitzend durch das
Nichtschwimmerbecken des Bürstädter Waldschwimmbads gepaddelt war, kam
die Überfahrt von der Küste nach der Nordseeinsel meiner aus einem Meer von
Büchern angelesenen Vorstellung von Kap Hoorn schon recht nahe.
Ein paar Jahre später nahm sie mich nach Mannheim ins Nationaltheater mit:
Richard Wagner, der fliegende Holländer. Ich war beeindruckt.
Wieder ein paar Jahre später begann ich das Schicksal dieses armen Mannes zu
verstehen, daß es mich selbst treffen sollte, und dazu noch trockenen Fußes, fiel
mir im Traum nicht ein, denn solch schauerliche Flüche gehören doch ins Reich
der Fabel, dachte ich.
Meine Frau wurde schwanger und erklärte mir nach ein paar Wochen, daß ihr
das putzen des Katzenklos aus gesundheitlichen Gründen verwehrt sei, der Arzt
habe sie dringend gewarnt. Bislang hatten wir uns diese Arbeit geteilt, jetzt
übernahm ich gerne ihren Anteil, die Hauptarbeit an der Reproduktion blieb ja
doch an ihr hängen, und so eine Schwangerschaft dauert ja nicht ewig.
Doch ich hatte die Rechnung ohne den Fluch gemacht. Unser Sohn kam auf die
Welt, das Katzenklo blieb an mir hängen, denn über ein tatsächliches Ende
einer Schwangerschaft kann ich als Mann aus biologischen Gründen nur
theoretische Vermutungen anstellen, die auf der anderen Seite der Schöpfung
nicht zwingend ernst genommen werden müssen.
So ist also das fliegende holländische Katzenklo auf ewige Zeiten mein
Schicksal, ohne Aussicht auf Erlösung, denn jetzt, zehn Jahre später, spricht
unser Sohn immer öfter davon, welche Art von Katze er als nächstes haben
möchte, wenn unsere einst nicht mehr am Leben sind.

DORNRÖSCHEN WAR EIN SCHÖNES KIND

Silvester 1999 stand ich in einem Sporthotel in Garmisch-
Partenkirchen zum letzten Mal als Unterhaltungsmusikant auf der
Bühne, um ein neues Jahr mit lautem Tuten zu begrüßen. Seither
verbringe ich den Jahreswechsel in meiner Wohnung und genieße es,
in Ruhe gelassen zu werden. Dank meiner gesundheitlichen Situation
nimmt es mir auch niemand übel, wenn ich Einladungen zu Partys
ausschlage, es macht keinen Sinn, bei Freunden todmüde auf der
Coach zu liegen und jedem ein schlechtes Gewissen anzuhängen, der
statt Mitleid Spaß am Feiern empfindet, während ich daheim einen
interessanten Abend mit den nötigen Ruhepausen verbringen kann.
Frau und Kind gingen zu Freunden, die Katzen hatten mich für sich.
Ich zerschnitt einen Berg Pappkartons fürs Altpapier, machte
„Feldenkrais“-Übungen unterm Tannenbaum, spielte Klavier zu der
CD „Buena Vista Social Club“ und lag zwischendurch mit den zwei
Katzen auf dem Sofa. Könnte ich Harfe spielen, wäre ich im Himmel
gewesen, mit dem Klavier reicht es nur fürs Paradies. Gegen
Mitternacht stellte ich in der Küche den Wasserkocher an und ging
zur Toilette. Schon Ernst Jandl hat in seinem Gedicht „Scheissender
Mann“ die Monotonie des immer gleichen Vorgangs beschworen, der
das Sein von der Zeit löst. Buddha erlebte die Erleuchtung im
Sitzen. Von vornehmer Erziehung, hat er einen Teil der Wahrheit
verschwiegen. Als ich in die Küche zurück kam, war ein Jahr ins Land
gegangen. Ich war heiter und gelassen und dachte: Dornröschen hat
was Tolles erlebt.