Freitag, 1. Juni 2012

DER LÄSTERSTEIN




Eine Freundin kam mich besuchen, sie trug ein pinkfarbenes Plastikband am linken Handgelenk und erzählte mir, sie sei kürzlich auf einem Seminar gewesen, das Armband sei ein Psychotrick.
Immer, wenn man über jemanden hinterrücks herzieht, vulgo lästert, oder wenn man Anwesende ärgert oder beleidigt, muß das Band den Arm wechseln. Hilfe zur Selbsterziehung, das Mundwerk legt ja schon mal los und spielt die gängigen CDs sozialer Interaktion ab, ohne den Verstand um Rat zu fragen, die Vernunft wird gar nicht erst geweckt. Die Kunst ist, möglichst lange einseitig zu bleiben. Die Gedanken sind dabei natürlich frei, irgendwo muß man unbehelligt rumtoben dürfen, es geht hier ums verbale. Da ich nicht gerne was am Arm trage, aber neugierig geworden war, nahm ich einen flachen Stein mit Kreuzmuster (Chiastolith), den mir ein Musikerfreund vor einigen Monaten geschenkt hatte, und steckte ihn mir in die linke Hosentasche. Die Wirkung ist verblüffend, ich kann nicht behaupten, nachdenklicher in meinen Äußerungen zu sein, aber es gelingt mir, im entscheidenden Moment die Klappe zu halten; der Stein soll in der linken Hosentasche bleiben, auch der Heilige ist nicht frei von Ehrgeiz. Es war aber ein Fehler, der Familie beim Abendessen davon zu erzählen. Meine Frau meinte trocken, es täte mir sicher gut, mein Mundwerk unter Kontrolle zu halten, mein Sohn erkannte sofort, welche Blöße ich mir mit dem Vorhaben gebe. Dialog: Geh bitte ins Bett. (Weder wird der Blick vom Buch gehoben, noch eine andere Reaktion auf meine Anwesenheit gezeigt) Geh ins Bett! Warte.... Geh ins Bett!!
Der Blick hebt sich, breites Grinsen: Steck den Stein in die andere Hosentasche. Ich erkläre den Zusammenhang zwischen Erziehungsnotwendigkeit und väterlicher Selbstbeherrschung.
Als er endlich im Bett liegt, trage ich den Stein immer noch links und bin von Stolz erfüllt. Sysiphos hatte gewiß einen Lästerstein in der Hosentasche, die Nachwelt hat die Sache nur etwas übertrieben, um seine Anstrengungen zu verdeutlichen.

RELATIVITÄT




Klamotten halten bei mir lang, ich gehe nur einkaufen, wenn es unumgänglich ist.
Jeans haben leider die Eigenschaft, in der Wäsche kürzer zu werden. Im Winter krempele ich die dicken Socken über die Hosenbeine, es sieht zwar komisch aus, hat man mir gesagt, aber ich
kenne Bilder von Alexander von Humboldt, wie er auf dem Chimborasso rumklettert, da hat er auch die Socken über die Hosen gekrempelt, man kann es damit also weit bringen. Aber so richtig
zieht das Argument nicht.
Wie siehst Du denn aus, Deine Jeans haben ja Hochwasser!!! Wird es wärmer, läßt sich nichts mehr kaschieren, die Hosenbeine sind zu kurz. Da hab ich sie abgeschnitten.
Jetzt sind sie lang genug.