Sonntag, 26. August 2012

GEISTERFAHRER

Wird es richtig heiß in unseren Breiten, machen die Menschen schlapp. Für MS-Patienten ist Hitze nicht ungefährlich, wir sollten uns verkriechen und auf freundliche Wolken und aufmunternden Regen warten. An einem heißen Tag mußte ich zu einer Beerdigung. In der Friedhofskapelle war es kühl, in meinem Rolli sitzend konnte ich es aushalten.
Der Gang zum Grab, auf Kieswegen in praller Sonne, war aber zu gewagt. Ich blieb allein in der Kirche zurück, im Halbschatten nahe dem Eingang. Ein verspäteter Trauergast erschien in der Tür und blickte sich suchend um. Freundlich und mit leiser Stimme, dem Ort angemessen, sprach ich ihn an und erklärte ihm, auf welchem Weg er die Gemeinde finden würde. Er bedankte sich und eilte davon, aber die Unruhe in seinem Blick ließ in mir den Gedanken aufkommen, er hege den Verdacht, daß im Lauf des Tages eine Trauergesellschaft die Leiche nach der Aussegnung in der Kapelle vergessen hat, als sie sich auf den Weg zum Grab machte. Manchmal sehe ich offenbar so aus, wie ich mich fühle.

Mittwoch, 15. August 2012

KATZENKRAUT

Auf der Dachterasse stehen Blumenkübel mit Küchenkräutern. Beide Katzen lieben es, darin herum zu buddeln und ihr Geschäft hinein zu machen. Fluchen hilft nicht, und einzäunen auch nicht. Wenn es Kartoffeln und Gemüse aus dem Backofen gibt, mit Rosmarin aus eigenem Anbau, freu ich mich jedes mal, meine Frau kocht ausgezeichnet, und es schmeckt hervorragend. Ob es phantasielosen Menschen noch besser schmeckt?

FERNWEH

Professor Harald Lesch hat mich in einer Folge von „Alpha-Centauri“ überzeugt:
Das wichtigste Weltraum-Unternehmen der Menschheit war der Flug von Apollo 8.
Zum ersten mal wurde unser Planet aus einer Entfernung gesehen und photographiert, die erahnen läßt, wie klein und einsam die blaue Kugel im All schwebt. Das Bewußtsein der Menschen begann sich zu verändern. Wie ein filigranes Juwel, sagen die einen, wir sollten auf Zehenspitzen herumlaufen,, ganz leise und vorsichtig, es wäre eine Sünde, wenn etwas kaputt geht. Wie eine schöne Frucht, sagen andere, wir sollten den Saft herauspressen, es wäre eine Sünde, solch ein Geschenk liegen zu lassen und den Reibach nicht zu machen.
Hier liegt die Wurzel der Globalisierung, die Erfindung des Zwischennetz´ (dt „Internet“)
mit planetarer Omnipräsenz war folgerichtig. Der Weltbürger ist überall zugleich, ob in Peking das sprichwörtliche Fahrrad umfällt oder in Saarbrücken der Reis überkocht, alles findet seine Beachtung, rund um den Globus. „Auf den Schirm!“ befiehlt Captain Picard auf der Brücke der „Enterprise“, Wirklichkeit ist da, wo Strom fließt. Das provinzielle Leben beginnt mit dem Druck auf den Ausschaltknopf, der Reduktion auf den Tellerrand der eigenen Sinnesorgane. Das Fernweh brachte Menschen dazu, Reisen zu unternehmen, die uns heute nicht länger übers Dorf hinaus führen, auch wenn der Urlaub auf Hawaii stattfindet. Fernweh bedeutet, überall zur gleichen Zeit sein zu wollen, und wunderbarerweise geht das heute, gefahrlos und preiswert.

Montag, 13. August 2012

ABSCHIED (für Dimitri Gawlita)

Mein Schwiegervater starb überraschend. In der zweiten Nacht wurde mir klar, er war nicht nur der Vater meiner Frau, wir waren Freunde. Vor über zwanzig Jahren hatte er, der etablierte Anwalt, mich, den freischaffenden, dabei mäßig erfolgreichen Musikanten, in seiner Familie willkommen geheißen. Bei Familientreffen und -festen wurden wir nebeneinander gesetzt, die drei Mädels, Mutter und zwei Töchter, genossen die dadurch geschaffenen Freiräume. Wenn wir US-Amerikaner wären, hätte er in Washington gelebt und ich in San Franzisko, beide mit der Sehnsucht, Holzfäller in den Rocky Mountains zu sein, mit kariertem Hemd und Whiskyflasche in der Jackentasche, nach der Arbeit ein Teller Bohnen und dann Füße auf den Tisch. Richtige Männer, frei von Selbstzweifeln. Im Saarland blieb uns die Liebe zur großen und kleinen Eisenbahn, mit den Jahren kamen eine ganze Menge gemeinsamer Erlebnisse zusammen. Er stand in der Robe vor Gericht und leger in der Kanzlei, ich im Anzug auf der Bühne mit der Showband und in Jeans im Jazzkeller. (Je besser die Musik, desto schäbiger die Klamotten, gelegentliche Einsätze in Theater und Orchester ausgenommen, der Kapellmeister will ja nicht mit der Kneifzange dirigieren.) Er hat viele meiner Auftritte besucht und mir aus seinem Berufsleben erzählt.
Und er hatte an seinem Enkel so viel Spaß wie ich an meinem Sohn. Da es sich um dieselbe
Person handelt, war eine neue Gemeinsamkeit vorhanden. Er sorgte dafür, daß im Bücherregal neben Harry Potter auch Eulenspiegel, Münchhausen, die Schildbürger und Odysseus stehen, ich kümmerte mich um Mau-Mau, Mensch-ärgere-dich-nicht, Monopoly und Schach. Und immer wieder mal hatten wir Muskelkater im Genick vom Kopfschütteln über den jeweils anderen: Wozu braucht der Mensch drei Autos, wenn er nur einen Hintern hat, der bequem von A nach B befördert werden soll; wozu braucht der Mensch vier Altsaxophone, wenn er nur einen Mund zum Tuten hat. Wo das Verstehen nicht mehr ausreicht, behilft man sich mit Toleranz. Zwei Wochen zuvor saßen wir nach seinem Geburtstagsessen auf einem Mäuerchen vor dem Lokal, ich legte meinen Arm um seine Schulter und wir lächelten uns verschmitzt an. Das war unsere letzte Begegnung.

Samstag, 4. August 2012

ANGEMESSENE ANREDE


Liebe Zielgruppe zuhause an den Braun´schen Röhren“ begrüßte ein Moderator am Ende des letzten Jahrtausends, meines Wissens hieß er Moor, sein Publikum. Die Braun´sche Röhre ist passé, der Flachbildschirm hat sich durchgesetzt, das Gerät hat sich äußerlich seinem Inhalt angeglichen, für die verbliebenen Beiträge mit Tiefgang
reicht als Symbol die Steckerleiste unterm Tisch. Bezeichnet man sein Publikum als „Freunde“, „Fans“ oder „liebe Leser“, findet eine Überrumpelung statt: Es soll doch jedermann offenstehen, ob er mich als Freund sehen will, meine Texte gut findet, oder überhaupt Lust hat, zu lesen, was ungefragt aus der Steckdose kommt. Zur Verdeutlichung ein Beispiel aus meinen Jahren als Unterhaltungsmusikant: Bierzelt in bester Stimmung, die Kapelle macht eine Pause, in einer vermeintlich stillen Ecke verzehre ich mit Appetit eine Bratwurst. Freudestrahlend kommt ein Mensch mit zehn Glas Bier auf mich zu, neun davon intus, eines überschwänglich überschwappend schwenkend. Die Prüfung hat begonnen, ich schalte um von innerer Emigration auf duldsame Freundlichkeit, eingewickelt in einen sehr langen Geduldsfaden und bedauere zutiefst die Abwesenheit einer gütigen Schicksalsfee in der Welt, die es gut mit mir meint. Solch ein Erlebnis kann intellektuell genauso zermürbend sein, wenn es dabei auch weniger stinkt.

DAS BÜHNENSCHWEIN


Ein menschliches Wesen, männlich oder weiblich, das sich auf einer Bühne, im öffentlichen Raum, wohlfühlt, und mit allen Situationen zurecht kommt, nennt man, als Kompliment gemeint, „Bühnenschwein“. Wenn Männer besonders männlich wirken wollen, sagen sie „Rampensau“, mit grollendem „R“ und zischender „Sau“, je flacher der Witz, desto hoch das Gefühl.
Es muß im letzten Kindergartenjahr gewesen sein, mein Sohn und ich waren unterwegs, einkaufen im Supermarkt hinter dem Prinzenweiher. Auf dem Weg zur Kasse kamen wir am Spirituosenregal vorbei. Ach ja, einen Wodka würde ich gern mal wieder trinken, kam mir in den Sinn, und ich streckte den Arm aus, der sofort von zwei kleinen Händen gepackt und runtergezogen wurde. „NEIN PAPA, KEINEN SCHNAPS KAUFEN“ Es war deutlich bis hinter die letzte Thunfischdose zu hören. Vorhang auf, Licht an, Riesenpublikum, Text vergessen. Erwartungsvoll grinsende Gesichter um mich herum, man glaubt es nicht, wie viele Menschen sich im Supermarkt zwischen zwei Regalreihen mal eben so aufhalten.
Das breiteste Grinsen neben und etwas unter mir, meinen Arm festhaltend. Versinken?
Verlockend, aber auch innigstes Flehen kann den Boden unter mir nicht erweichen. Da quiekt es leise und beruhigend in meinem Hinterkopf: In wievielen Bierzelten und Mehrzweckhallen hast Du eigentlich in den letzten zwanzig Jahren als Unterhaltungsmusikant allen Gefahren getrotzt und tapfer jeden Witz belacht? Jetzt bist Du eben selber mal einer, geht vorbei! Ich beginne ebenfalls zu grinsen, packe den Wodka in den Einkaufswagen und schlendere lässig weiter zur Kasse, dabei locker mit meinem Sohn parlierend. Das Publikum wendet sich enttäuscht ab, etwas väterliche Verzweifelung hätte es schon sein dürfen, vielleicht sogar ein Ausraster, aber ohne Gage ist eben nicht mehr drin.
Ich bin noch nicht mal rot geworden.