Dienstag, 30. April 2013

MAGISCH


Ab und an mal zaubern können, als Kinder haben wir es uns gewünscht, als Erwachsene hätten wir es manchmal bitter nötig. Verblüffende Erkenntnis: Ich scheine es zu können.
Wenn ich das Bad betrete, brennt fast immer das Licht. Beim Verlassen schalte ich es aus. Eine Frage an den Rest der Familie ergibt, niemand hat das Licht brennen lassen. Es bleibt nur eine Erklärung: Der Schalter ist kaputt, das Licht läßt sich nicht ausschalten, nur meinen magischen Künstlerhänden gelingt das ganz lässig.

Sonntag, 21. April 2013

Der Ausweg

Selbst ein Nervtöter wie meine MS-Erkrankung hat skurrile Seiten, die bei mir für Heiterkeit sorgen und so erträglich bleiben. Eines der ältesten Symptome ist eine Lähmung von linker Hand und Arm, die sich unvermittelt einstellt und mich  zum einarmigen Banditen macht. Nach einer Weile verschwindet sie wieder, es bleibt höchstens mal ein leichtes Kribbeln in den Fingern. Mit dem Saxophon auf der Bühne habe ich es überstanden, aber neulich beim Schachabend …
Ich stand vom Brett auf und ging zur Toilette, als die Hand in den Streik trat. In der Kabine versuchte ich, mich anzuziehen, vergebens, dem Knopf an der Jeans war einarmig nicht beizukommen. Ich saß auf dem Deckel, wartete, hörte andere Männer vor der Kabinentür und dachte, ein Kneipenklo nach 22.00Uhr ist ein ungeeigneter Ort, um jemanden um Hilfe beim Hosenknopf zu bitten. Das Problem löste sich irgendwann von selbst, ich kehrte in die Zivilisation zurück.
In meinem Leben gibt es zwei Bereiche, in denen der Frauenanteil deutlich unter zehn Prozent liegt: Die Jazzmusik und das Schach. Glückspilz, der ich bin, habe ich faszinierende weibliche Wesen kennengelernt, die Charakter, Kopf und Aussehen so miteinander verbinden, daß ich keinen Schnaps mehr brauche, um das Leben zu genießen.
Gemeinsam ist ihnen ein Hauch von Melancholie in den Augen, der ihren Abstand von der Oberflächlichkeit ausdrückt. Eine davon, ich nenne sie gern „die weiße Dame“, war bei diesem Schachabend dabei. Ich erzählte, was ich erlebt hatte, sie meinte nur: Du hast doch dein Handy dabei, wenn das nochmal vorkommt, rufst du an und ich hole dich raus. Und wenn dann einer dazukommt und fragt: „Was macht ihr denn hier?“ Dann sagen wir:
Wir sind zum Schachspielen verabredet.“ Der Moment der Verblüffung sollte ausreichen, um in Ruhe das Weite zu suchen.

Für anja13

Samstag, 20. April 2013

25 Bahnen

Sport und Turnen füllt Gräber und Urnen“ (Der Bulle von Tölz)

Meine sportliche Karriere erreichte ihren Höhepunkt bereits in den frühen ´70er Jahren des finsteren 20.Jahrhunderts, ich war einen Sommer lang vom Rudersport besessen, trainierte bis zu fünfmal in der Woche und weiß seitdem, daß mir das Bedürfnis nach Konkurrenz und Wettkampf fehlt. Höre ich einen Startschuß oder die Worte „Auf die Plätze, fertig, los!“, sagt mir eine innere Stimme „Was soll der Blödsinn?“. Es ist die Stimme, die mir einflüstert, nach welchem Buch ich greifen soll und wo der Ausschaltknopf am Fernseher zu finden ist, den am Computer verschweigt sie mir hartnäckig. Und daß man Schachfiguren in eine Schachtel legen könnte, undenkbar.
Ich ruderte im Einer (ohne Steuermann), diese Disziplin müssen die Katholiken erfunden haben, der Blick ist endlos in die Vergangenheit gerichtet, und solange man den vorgeschriebenen Kurs einhält, darf man an einen Schutzengel glauben, der sich um die Zukunft kümmert, die direkt hinter dem krummen Rücken beginnt. Luther besaß ein Paddelboot, sonst hätte er die Geschichte nicht vorangebracht. Ich bin oft abseits der Strecke spazierengefahren, aus dem Boot gefallen, der Trainer hat mich als frei von Ehrgeiz abgeschrieben und nach der Winterpause war Schluß. Dabei bewege ich mich gern, Radeln, Wandern und heute noch das Schwimmen haben mich vor den Untiefen der Kneipenszene zuverlässig gerettet.
Wettkampf braucht Vergleichbarkeit. Deshalb wird beim Fußball im Fernsehen eine Statistik eingeblendet: Lahm ist am meisten gelaufen, klingt komisch, wird aber schon stimmen, wenn es da steht, deswegen ist er in der Nationalmannschaft der Kapitän. Beim Schach im Internet wird eine Computerevaluation gezeigt, die im präzisen Dezimalbruch angibt, ob es Schwarz oder Weiß demnächst an den Kragen geht. Spielzüge auf dem Rasen oder Stellungen auf den Quadraten beurteilen? Das war einmal.
In der Freizeit hin und her zu schwimmen, unvergleichlich zu sein, gilt als fragwürdig.
Wer von 1000 m spricht, setzt eine Marke. Ich schwimme, so lange es mir gut tut, das hängt von der Tagesform ab und riecht nach Angeberei durch Verniedlichung. Aber dahinter steht eine Philosophie der Bewegung: Die Rolltreppe in Fahrtrichtung gelaufen ist der Inbegriff der westlichen Zivilisation, schneller und höher, dem Ende entgegen, das Versprechen, daß die Seife beim Händewaschen dicker wird und sich Leistung immer lohnt. Laufen wir in die Gegenrichtung, sind wir bei Buddha, der Weg ist das Ziel.
An manchen Tagen ist es im Schwimmbad so voll, daß man seinen Weg sorgfältig suchen muß. Gefürchtet sind die gemütlich plaudernden Kreisschwimmer, in boshafter Stimmung nennen wir sie die U-Bootgefahr, der es auszuweichen gilt. Sowas von unsportlich!
Aber bislang ist es mir immer noch rechtzeitig eingefallen: Sie sind von meiner Sippe.

Freitag, 19. April 2013

Eine Lanze für Angela und Dieter

Heute gelesen: Angela Merkel soll nicht mehr auf der Time-Liste der 100 einflußreichsten Menschen stehen.Vermutlich hat sie selbst  angerufen und gesagt, sie sollen sie streichen. Jetzt herrscht dort Ratlosigkeit. Denn wenn sie sich streichen lassen kann, gehört sie auf die Liste. Und umgekehrt.

Ich bekam wieder mal Gespött über Dieter Bohlen zu hören. Er sei ein unerträglicher Selbstdarsteller. Wer sagt denn, daß er sich inszeniert? Er lebt eher so, wie es vielen Männern so richtig gut gefallen würde. Die Selbstdarsteller in meinem Umfeld leiden meist darunter, verkannt zu werden. Damit hat Dieter kein Problem. Außerdem hat sein musikalisches Können Hand und Fuß. Daß mir seine Musik nicht zusagt, ist nicht sein Problem. Er muß mich auch nicht heiraten mögen.


Mittwoch, 17. April 2013

Trostlose Geschichte

Ich werde bei Euch sein alle Tage bis ans Ende der Welt“
Das hat ein Mann aus einfachen Verhältnissen versprochen, der Essen verteilt hat, Kranke gepflegt und Menschen getröstet. Gemeint war: Macht es genauso, dann geht es euch besser.
Die Methode hat sich bewährt, man muß nur in die Hände spucken und was tun.

Die Sage vom Kaiser im Berg gibt mehr her: Barbarossa sitzt nach getaner Arbeit im Kyffhäuser, sein Bart ist mit den Jahrhunderten durch den Tisch gewachsen, wenn er gebraucht wird, kommt er zurück, ein gütiger Übervater, der alles richten wird, wenn wir es vermasselt haben.

Doch so einfach wird es uns leider nicht gemacht: Im Berg lauert ein brauner Riese aus Eis, der sich schon mal hat rufen lassen. Zwölf Jahre hat er sich ausgetobt, die Kälte ist bis heute zu spüren. Herrenmenschen hoffen heimlich, wieder auf seinen Schultern sitzen zu dürfen, die schlichteren Gemüter freuen sich, daß es ihren Feinden an den Kragen geht, während sie selbst zertrampelt werden, wenn er herauskommt.

Erlösungsphantasien müssen wachsen können, wenn das Selbstvertrauen schrumpft. Sonst wirkt die Medizin nicht mehr. Wahre Größe zeigt der Blick ins Portemonnaie, auf dem Kontoauszug steht genau zu lesen, bis zu welcher Sprosse auf der großen Leiter der Erlösung man schon geklettert ist. Daß solche Leitern ins Nichts führen, fällt unterwegs nicht auf.

Dienstag, 2. April 2013

Der Schein trügt

Herr Doktor, der Simulant in Zimmer 7 ist gestorben.“
Jetzt übertreibt er aber!“

Als Patient mit Multipler Sklerose bin ich lahm, aber nicht gelähmt. Ich nehme den Rollstuhl, weil Entfernungen über Zimmerabstände hinaus sehr ermüdend sind, wenn ich Stock oder Krücken benutze.
Sonntag Nachmittag, unterwegs mit der Mannschaft vom Schachklub. Wir kommen an, laden den Rolli aus, ich fahre zum Haus, in dem wir spielen sollen. Eine alte Schule, der dortige Schachklub hat seine Räume im ersten Stock. Ich stehe auf, klappe den Rolli zusammen, trage ihn die Treppe hoch, klappe ihn auseinander und fahre weiter.
Komische Blicke.
An der Bushaltestelle. Ich sitze im Rolli, der Bus kommt, ich stehe auf, klappe den Rolli zusammen, steige in den Bus, klappe ihn auseinander und setze mich wieder.
Komische Blicke.
Vielleicht liegt es am Fernsehen, an Sendungen wie „Verstehen Sie Spaß?“, daß ein Behinderter im Rollstuhl nicht so richtig ernst genommen wird, wenn er nicht völlig hilflos ist. Dabei geht es mir wie einem Gewichtheber, der mir größter Anstrengung die 200-Kilo-Hantel stemmt und sie dann gleich wieder fallen läßt. Niemand kommt auf die Idee, er könnte damit den ganzen Tag herumspazieren.

War Jörg gestern Abend hier in der Kneipe?“ „Ja“ „War ich dabei?“

An manchen Tagen humpelt das Gehirn. Die Konzentration reißt immer wieder ab, ob ich einen Satz formuliere, eine Variante beim Schach berechne oder eine Melodie von einer CD nachspiele, spätestens beim dritten Schritt ist der erste wieder weg, der Kopf wie mit Watte ausgestopft, fast alle Menschen und Gegenstände heißen „Dings“. Dabei läuft der tägliche Trott in gewohnten Bahnen, um normal zu erscheinen, braucht es wirklich nicht viel Verstand. Nur die Vergeßlichkeit fällt auf und der Umwelt auf die Nerven.

Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ (Martin Luther)
Es gibt kaum ein Problem, das durch Untätigkeit nicht größer wird.“

Wenn mir alles zuviel wird, schließe ich die Augen und stelle mir vor, ich würde als kleines Gespenst in meinem Schädel wie in einer großen Kuppel schweben. (Mein Sohn meinte dazu, für einen Hohlkopf, den man mir immer wieder mal unterstellt, sei das eine leichte Übung. Er hat recht.) So kann ich stundenlang Musik hören, ganz tief und transparent, am liebsten moderne E-Musik, von Schönberg bis Stockhausen. Oder ich mache ganz dicht, höre auf meine eigene Musik im Kopf und betrachte leuchtende geometrische Gebilde, die durch die Kuppel schweben, letzteres ist durch Zahlenmeditation entstanden.
Tauche ich wieder auf, bin ich unfähig, etwas zu tun, ein Käfer im Bernstein.

Wem soll ich denn meine privaten Alpträume erzählen, wenn nicht dir?“ „Sie sollen privat bleiben, Du weißt gut, daß ich das nicht vertrage.“
(Samuel Beckett/ Warten auf Godot)