Freitag, 28. September 2012

REGIETALENT

Der Regisseur blättert im Drehbuch und sagt den Schauspielern, wie das Leben spielen soll.
Es gibt Drehbücher verschiedener Kategorien: Steht der Held mit dem schönen Mädchen vor dem Traualtar, geht ein wohliges Raunen durchs Publikum: Das Leben ist nicht immer so ungerecht, wie es uns die Medien oft darstellen, die tröstliche Version. Brennt die Braut mit dem Pfarrer durch, macht sich Heiterkeit breit, zumindest bei denen, die Ähnliches noch nicht erlebt haben. Entschwindet der Pfarrer mit dem Bräutigam, wird der Film als Kunstwerk auf einem Festival mit einer Palme prämiert und anschließend im kommerziellen Giftschrank weggeschlossen. Sehen will das keiner. Es gibt aber nicht nur Regisseure. Viel größer ist die Zahl der Regietalente, die mit einem Drehbuch im Kopf durchs Leben gehen.
Nur selten stimmen Anspruch und Wirklichkeit überein, dauernd muß man sich aufregen. Die Begabtesten retten sich im Krisenfall, wenn es nichts zu meckern gibt, in den Konjunktiv. „Wenn Du die Wäsche nicht gewaschen hättest, wäre ich jetzt stinksauer!“
(Tonfall, als wäre sie noch schmutzig.) Ich halte es lieber mit dem Philosophen Franz Beckenbauer, der zu unrecht als Regisseur bezeichnet wird, weil er virtuos flexibel auf jede Spielsituation reagiert hat: „Schaun´mer mal, dann sehn mer schon.“Der Mann hat mit Sicherheit kein Drehbuch im Kopf. Könnten doch alle Regietalente dieser Welt bei Film und Fernsehen unterkommen und mich mit meinem geraden Fünfer in Ruhe lassen.

Montag, 17. September 2012

SEULB

Merlin, Gandalf, Voldemort, die Hexe im Märchen … , wer ihnen begegnet, lebt gefährlich.
Doch kein Zauber droht so Schreckliches, wie der, der seit Generationen in den Kaschemmen der Jazzmusik die Kunstschaffenden bedroht: Singe niemals einen Blues rückwärts! Sofort füllt sich dein Portemonnaie, deine Frau kommt zurück und du bist schlagartig nüchtern. Der arglose Tageslichtbewohner fragt sich, was daran so schlimm sei, aber die Nacht, die nicht allein zum schlafen da ist, hat ihre eigenen Gesetze. Kommt ein Musikant in die Jazzkneipe und es stellt sich heraus, daß er Bargeld bei sich trägt, kann er sich vor Freunden nicht retten. Der Ansturm wird vom Kneipenwirt beendet, der daran erinnert, daß noch Rechnungen aus den letzten sechs Monaten offenstehen. Das Geld reicht nicht ganz, die Freunde gehen leer aus, der Abend will nicht recht in Schwung kommen.
Sitzt einer auf der Bühne und singt, daß seine Frau ihn verlassen hat, kann er sich als Künstler anerkannt und ob seines traurigen Schicksals stellvertretend für alle einsamen Herzen bemitleidet fühlen. Sitzt die Frau zuhause, wartet, daß der Herr zum Abendessen kommt, wenigstens einen Teil der Gage abliefert und dann auf der Couch schläft, weil er stinkt, will das keiner hören, das Publikum will sich im Nachtklub amüsieren, und nicht an Dinge denken , die so schrecklich sind wie die Steuererklärung. „Füllest wieder Berg und Tal still mit Nebelglanz, lösest endlich auch einmal meine Seele ganz.“ So meiert es bieder in den Mittelgebirgen, in der Musikkneipe wie im Mississippidelta wabert der Nebel aus der Schnapsflasche direkt ins Gehirn. Und allein dieser vernebelte Kopf macht das Leben als Nachtklubmusikant erträglich, bisweilen sogar erstrebenswert. Deshalb: Singe niemals einen Blues rückwärts!

Mittwoch, 12. September 2012

MIT SCHACH UND KRACH

Die saarländische Schachjugend feierte ihren 30.Geburtstag. Eine weiße und eine schwarze Dame, letztere in leitender Position, fragten bei mir an, ob ich einen musikalischen Beitrag liefern möchte. Wenn die Spiele gespielt sind, König und Bauern zu ihren alten Schachteln zurückkehren, dann schlägt die Stunde der Grußworte, und der Musikant kann auf ein dankbares Publikum hoffen. Mir fiel auch schnell etwas Passendes ein: So wie es in der Geschichte eine Zeit vor und nach der Erfindung der Dampfmaschine gibt, seit der nichts mehr so ist wie früher, so gab es auch im Schach eine Zäsur, die sich an der Person des ersten Weltmeisters Wilhelm Steinitz sowie seines Nachfolgers Emanuel Lasker festmachen läßt. Das Schach der frühen Jahre ähnelte einer Horde Kinder beim Fußball, alle rennen zugleich hinter dem Ball her und stürmen Richtung Tor, in dem der gegnerische König auf verlorenem Posten steht, denn Verteidigung gab es nur als Begriffsdefinition eines Defizits.
Der Ritter stürmt voran, wer denkt da ans verstecken. Mit Steinitz und Lasker hielt die wissenschaftliche Methode Einzug. Positionsspiel, Stellungsanalyse, ein Plan muß her, der Erfolg kann auch durch einen simplen Mehrbauern errungen werden. Die Ritter hatten das Gefühl, zum Pilzesammeln geschickt zu werden. Doch wer die Nase rümpfte, bekam schnell eins drauf auf dieselbige. Musikalisch läßt sich das darstellen: Der Schachspieler sitzt vor seinen Figuren, der Musikant vor einer Wolke von möglichen Tonfolgen, beide versuchen, zu sortieren und ein kleines Kunstwerk auf den Weg zu bringen. Ich nahm mein Saxophon und spielte für die Ritter einen erdigen Blues, für Steinitz und Lasker nahm ich ein Thema aus dem 2.Satz der 9.Sinfonie von Dvorak, böhmischer Landsmann und Zeitgenosse von Steinitz, das Stück ist bekannt unter dem Namen „Aus der neuen Welt“, wo die beiden ersten Weltmeister viele Jahre verbrachten. Als Tonmaterial für diese zweite Improvisation verwendete ich Klänge aus der jüdischen Kleßmermusik, da die beiden aus Rabbinerfamilien stammten und die Tradition des jüdischen, dialektisch geprägten Denkens sich hier widerspiegelt. Diese Zusammenhänge erklärte ich kurz, bevor ich ein Stück zu spielen begann. Es gab viel Applaus, ich freute mich sehr und ging von der Bühne mit dem Gefühl, wenn ich in meinem Schachklub schon keiner der besten Spieler bin, dann bin ich wenigstens der lauteste. Immerhin, wenn diese Tugend in unserer Disziplin auch eher als zweitranging gilt. (Garry Kasparov möge mir diese Einschätzung verzeihen.)
(für anja13, mit der ich die 64 Felder pflüge)

Montag, 3. September 2012

ERNTEDANK

Erster Einsatz am 2.September, 3. Brett, 4. Mannschaft vom Schachklub. Freundlicher, starker Gegner, es entwickelt sich eine Partie, die richtig Spaß macht und für meine Verhältnisse sogar gute Ideen enthält . Einziger Wermutstropfen: Ich hab verloren. Ach ja, die Radieschen wachsen halt nicht in den Himmel, auch in der Kreisklasse läuft nicht alles rund. Philosophische Ausbeute: Schach widerlegt den Volksmund. Der zweitdümmste Bauer erntet die dicksten Kartoffeln.