Mittwoch, 12. September 2012

MIT SCHACH UND KRACH

Die saarländische Schachjugend feierte ihren 30.Geburtstag. Eine weiße und eine schwarze Dame, letztere in leitender Position, fragten bei mir an, ob ich einen musikalischen Beitrag liefern möchte. Wenn die Spiele gespielt sind, König und Bauern zu ihren alten Schachteln zurückkehren, dann schlägt die Stunde der Grußworte, und der Musikant kann auf ein dankbares Publikum hoffen. Mir fiel auch schnell etwas Passendes ein: So wie es in der Geschichte eine Zeit vor und nach der Erfindung der Dampfmaschine gibt, seit der nichts mehr so ist wie früher, so gab es auch im Schach eine Zäsur, die sich an der Person des ersten Weltmeisters Wilhelm Steinitz sowie seines Nachfolgers Emanuel Lasker festmachen läßt. Das Schach der frühen Jahre ähnelte einer Horde Kinder beim Fußball, alle rennen zugleich hinter dem Ball her und stürmen Richtung Tor, in dem der gegnerische König auf verlorenem Posten steht, denn Verteidigung gab es nur als Begriffsdefinition eines Defizits.
Der Ritter stürmt voran, wer denkt da ans verstecken. Mit Steinitz und Lasker hielt die wissenschaftliche Methode Einzug. Positionsspiel, Stellungsanalyse, ein Plan muß her, der Erfolg kann auch durch einen simplen Mehrbauern errungen werden. Die Ritter hatten das Gefühl, zum Pilzesammeln geschickt zu werden. Doch wer die Nase rümpfte, bekam schnell eins drauf auf dieselbige. Musikalisch läßt sich das darstellen: Der Schachspieler sitzt vor seinen Figuren, der Musikant vor einer Wolke von möglichen Tonfolgen, beide versuchen, zu sortieren und ein kleines Kunstwerk auf den Weg zu bringen. Ich nahm mein Saxophon und spielte für die Ritter einen erdigen Blues, für Steinitz und Lasker nahm ich ein Thema aus dem 2.Satz der 9.Sinfonie von Dvorak, böhmischer Landsmann und Zeitgenosse von Steinitz, das Stück ist bekannt unter dem Namen „Aus der neuen Welt“, wo die beiden ersten Weltmeister viele Jahre verbrachten. Als Tonmaterial für diese zweite Improvisation verwendete ich Klänge aus der jüdischen Kleßmermusik, da die beiden aus Rabbinerfamilien stammten und die Tradition des jüdischen, dialektisch geprägten Denkens sich hier widerspiegelt. Diese Zusammenhänge erklärte ich kurz, bevor ich ein Stück zu spielen begann. Es gab viel Applaus, ich freute mich sehr und ging von der Bühne mit dem Gefühl, wenn ich in meinem Schachklub schon keiner der besten Spieler bin, dann bin ich wenigstens der lauteste. Immerhin, wenn diese Tugend in unserer Disziplin auch eher als zweitranging gilt. (Garry Kasparov möge mir diese Einschätzung verzeihen.)
(für anja13, mit der ich die 64 Felder pflüge)

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