Die
saarländische Schachjugend feierte ihren 30.Geburtstag. Eine weiße
und eine schwarze Dame, letztere in leitender Position, fragten bei
mir an, ob ich einen musikalischen Beitrag liefern möchte. Wenn die
Spiele gespielt sind, König und Bauern zu ihren alten Schachteln
zurückkehren, dann schlägt die Stunde der Grußworte, und der
Musikant kann auf ein dankbares Publikum hoffen. Mir fiel auch
schnell etwas Passendes ein: So wie es in der Geschichte eine Zeit
vor und nach der Erfindung der Dampfmaschine gibt, seit der nichts
mehr so ist wie früher, so gab es auch im Schach eine Zäsur, die
sich an der Person des ersten Weltmeisters Wilhelm Steinitz sowie
seines Nachfolgers Emanuel Lasker festmachen läßt. Das Schach der
frühen Jahre ähnelte einer Horde Kinder beim Fußball, alle rennen
zugleich hinter dem Ball her und stürmen Richtung Tor, in dem der
gegnerische König auf verlorenem Posten steht, denn Verteidigung
gab es nur als Begriffsdefinition eines Defizits.
Der
Ritter stürmt voran, wer denkt da ans verstecken. Mit Steinitz und
Lasker hielt die wissenschaftliche Methode Einzug. Positionsspiel,
Stellungsanalyse, ein Plan muß her, der Erfolg kann auch durch einen
simplen Mehrbauern errungen werden. Die Ritter hatten das Gefühl,
zum Pilzesammeln geschickt zu werden. Doch wer die Nase rümpfte,
bekam schnell eins drauf auf dieselbige. Musikalisch läßt sich das
darstellen: Der Schachspieler sitzt vor seinen Figuren, der Musikant
vor einer Wolke von möglichen Tonfolgen, beide versuchen, zu
sortieren und ein kleines Kunstwerk auf den Weg zu bringen. Ich nahm
mein Saxophon und spielte für die Ritter einen erdigen Blues, für
Steinitz und Lasker nahm ich ein Thema aus dem 2.Satz der 9.Sinfonie
von Dvorak, böhmischer Landsmann und Zeitgenosse von Steinitz, das
Stück ist bekannt unter dem Namen „Aus der neuen Welt“, wo die
beiden ersten Weltmeister viele Jahre verbrachten. Als Tonmaterial
für diese zweite Improvisation verwendete ich Klänge aus der
jüdischen Kleßmermusik, da die beiden aus Rabbinerfamilien stammten
und die Tradition des jüdischen, dialektisch geprägten Denkens sich
hier widerspiegelt. Diese Zusammenhänge erklärte ich kurz, bevor
ich ein Stück zu spielen begann. Es gab viel Applaus, ich freute
mich sehr und ging von der Bühne mit dem Gefühl, wenn ich in meinem
Schachklub schon keiner der besten Spieler bin, dann bin ich
wenigstens der lauteste. Immerhin, wenn diese Tugend in unserer
Disziplin auch eher als zweitranging gilt. (Garry Kasparov möge mir
diese Einschätzung verzeihen.)
(für anja13, mit der ich die 64 Felder pflüge)
(für anja13, mit der ich die 64 Felder pflüge)
Schön!
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