Samstag, 14. April 2012

MRT



Magnet-Resonanz-Tomographie, ein Verfahren, das Innere des Menschen mit Krach statt mit Röntgenstrahlen sichtbar zu machen. Man wird auf einer schmalen Liege in eine enge Röhre geschoben, in der man reglos verharren muß, damit die Bilder nicht verwackeln. Durch eine Nadel im Arm bekommt man Kontrastmittel eingeflößt. Wenn kein akuter Schub ansteht, muß ich alle paar Monate zur Routineuntersuchung die Prozedur mitmachen. Beim letzten Mal kam es zu einer netten Unterhaltung. Ich kam aus der Auskleidekabine, die Maschinistin bat mich auf die Liege, gab mir Ohrenstöpsel und stach mir die Nadel in die Armbeuge. Es wird eine Weile dauern. Das macht nichts, ich bin gern da drin. Da sind Sie der einzige, den ich kenne. Sie fährt mich hinein. Die Prozedur beginnt unüberhörbar. Ich komme schnell ins träumen, kein Schlaf, wohlgemerkt, dafür ist es zu laut. Wie immer viel zu schnell zu Ende, ich werde wieder ans Tageslicht geholt. Alles in Ordnung bei Ihnen? Danke, ja. Ich beschließe, ihr zu erzählen, was ich in der Röhre erlebe: Wenn es losgeht, kommt zuerst ein tiefes brummen Da-da-damm, da-da-damm, zwei Achtel, eine Viertel, das ist das Grundmotiv, es läuft die ganze Zeit durch, ich spüre es in der Wirbelsäule, sie vibriert vom Hals bis zum Po. Dann kommen die anderen Geräusche dazu, in verschiedenen Tonhöhen mit unterschiedlichen Rhythmen, nacheinander oder überlappend. Ich stelle mir vor, wie ich dazu auf meinem Saxophon spiele, denke mir Melodien aus, die von der Maschine um mich begleitet werden, es ist wie eine Meditation. Zwischendrin rollt sich das Saxophon auseinander, wird zu einem Schachbrett, die Mechanik zu Figuren, meist sind es Eröffnungsvarianten, mein Blindschach ist längst nicht so gut wie mein mentales Musizieren, aber die Verknüpfung von beidem ist ein Erlebnis der Extraklasse. Ah, ja. Ihr Blick wirkt etwas unsicher, als ob sie einen Fluchtweg sucht. Sie entfernt den Schlauch an meinem Arm , winkt mich schnell in die Kabine und sagt, ich solle im Zimmer gegenüber warten, der Arzt riefe mich dann auf. Ich erinnere mich, daß es in der Psychatrie heißt: „Nie dem Kranken wiedersprechen!“ Sie kommt dann noch im Wartezimmer vorbei und reicht mir mit ausgestrecktem Arm hastig die Daten-CD, die beweist, daß ich ein Gehirn habe (man kann es sehen!), wobei der Inhalt natürlich rätselhaft bleibt, mir selbst oft auch. Ich vermute, daß das Kontrastmittel inzwischen auf halluzinogene Wirkung untersucht wurde.

1 Kommentar:

  1. Endlich!!!! Aber das Warten hat sich gelohnt. Sehr schön und typisch Tom!!

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