Samstag, 21. April 2012

UNFREIWILLIG HEILIG

Als die Großmutter meiner Frau starb, erbten wir den Kater Muck und eine Waschmaschine. Muck hatte Angst vor Männern, es brauchte zwei Jahre geduldiger Bemühungen, bis er sich mit mir angefreundet hatte. Seither gelte ich als Katzenflüsterer. Die Waschmaschine war ein solider Klotz mit dem Charakter eines gestandenen Handwerkers: Wenn einer schafft, soll man es auch hören. Es klang, als würden in unserer Wohnung Hubschrauberrundflüge für Touristen unternommen.
(Für ADAC, Polizei oder Bundeswehr bestand wohl kaum Interesse, nur Touristen schauen sich alles an, Hauptsache sie haben eine Gelegenheit, ein bißchen vor sich selber abzuhauen.)
Als Großmutters Wohnung, leergeräumt war, standen noch zwei Holzengel herum, die keiner haben wollte. Scheitelhöhe stattliche 40cm. Da sie keine Angst vor mir hatten, bekamen sie ein neues Zuhause in meinem Arbeitszimmer. Sie heißen jetzt
Heilige Einfalt“ und „Heiliger Strohsack“ und wachen über meine Schachbücher.
Mit den beiden begann ich meine theologische Sammlung. Wenn es sich herumgesprochen hat, daß man christliche Kunst im Zimmer stehen hat, kommt schnell was zusammen. Ein Kruzifix schmeißt man nicht einfach so in den Müll, zwei
hab ich aus der Kneipe gerettet, als der Pächter wechselte, dazu die „Bratkartoffel-Madonna“, die Jahrzehnte auf der Fensterbank im Essensdunst stand. Bei mir dauerte es ein paar Wochen, bis sich der Geruch nach Bratkartoffeln verflüchtigt hatte. So wuchs die Anzahl der Kreuze, Kerzen und Rosenkränze, bis sie die optische Omnipräsenz eines ostfriesischen Windparks erreicht hatte. Der Vergleich ist gar nicht so abwegig, denn wie einst die Kreuze am Wegesrand den Vorbeikommenden an die sündhaftigkeit seines Daseins und eine mögliche Erlösung durch tätige Reue gemahnten, erinnern uns heute die Windmühlen hartnäckig an kollektive (Umwelt)Sünden und versprechen dabei eine bessere Zukunft.
Für mich hatte die Sammlung zur Folge, daß mein schon immer vorhandenes Interesse an religiösen Themen verstärkt wurde. Ich nahm mir die Regel des heiligen Benedikt und suchte mir alles heraus, was sich auf den Musikunterricht anwenden läßt. Es ist gar nicht wenig, über Menschenkenntnis und Erziehung haben sich die Alten gründlich Gedanken gemacht. Beim Schach hilft Thomas von Aquin (im Nebenberuf mein Namenspatron). Er gibt den Rat, sich in einer Diskussion erst einmal die Argumentation des Gegenübers völlig zu eigen zu machen, bevor man zur Erwiderung ansetzt. Das befördert die Stichhaltigkeit der eigenen Gedankengänge im Gespräch wie auf dem Brett, wenn man nur in jede zweite Falle tappt, ist das schon ein Fortschritt.
Wir sind noch nicht im großen Festsaal angekommen, aber wir sind eingeladen und können schon die Lichter sehen und die Musik hören“ (Ernesto Cardenal)
Man muß das ganz weltlich verstehen.

1 Kommentar: