Mein
Schwiegervater starb überraschend. In der zweiten Nacht wurde mir
klar, er war nicht nur der Vater meiner Frau, wir waren Freunde. Vor
über zwanzig Jahren hatte er, der etablierte Anwalt, mich, den
freischaffenden, dabei mäßig erfolgreichen Musikanten, in seiner
Familie willkommen geheißen. Bei Familientreffen und -festen wurden
wir nebeneinander gesetzt, die drei Mädels, Mutter und zwei Töchter,
genossen die dadurch geschaffenen Freiräume. Wenn wir US-Amerikaner
wären, hätte er in Washington gelebt und ich in San Franzisko,
beide mit der Sehnsucht, Holzfäller in den Rocky Mountains zu sein,
mit kariertem Hemd und Whiskyflasche in der Jackentasche, nach der
Arbeit ein Teller Bohnen und dann Füße auf den Tisch. Richtige
Männer, frei von Selbstzweifeln. Im Saarland blieb uns die Liebe zur
großen und kleinen Eisenbahn, mit den Jahren kamen eine ganze Menge
gemeinsamer Erlebnisse zusammen. Er stand in der Robe vor Gericht und
leger in der Kanzlei, ich im Anzug auf der Bühne mit der Showband
und in Jeans im Jazzkeller. (Je besser die Musik, desto schäbiger
die Klamotten, gelegentliche Einsätze in Theater und Orchester
ausgenommen, der Kapellmeister will ja nicht mit der Kneifzange
dirigieren.) Er hat viele meiner Auftritte besucht und mir aus seinem
Berufsleben erzählt.
Und
er hatte an seinem Enkel so viel Spaß wie ich an meinem Sohn. Da es
sich um dieselbe
Person
handelt, war eine neue Gemeinsamkeit vorhanden. Er sorgte dafür, daß
im Bücherregal neben Harry Potter auch Eulenspiegel, Münchhausen,
die Schildbürger und Odysseus stehen, ich kümmerte mich um Mau-Mau,
Mensch-ärgere-dich-nicht, Monopoly und Schach. Und immer wieder mal
hatten wir Muskelkater im Genick vom Kopfschütteln über den jeweils
anderen: Wozu braucht der Mensch drei Autos, wenn er nur einen
Hintern hat, der bequem von A nach B befördert werden soll; wozu
braucht der Mensch vier Altsaxophone, wenn er nur einen Mund zum
Tuten hat. Wo das Verstehen nicht mehr ausreicht, behilft man sich
mit Toleranz. Zwei Wochen zuvor saßen wir nach seinem
Geburtstagsessen auf einem Mäuerchen vor dem Lokal, ich legte meinen
Arm um seine Schulter und wir lächelten uns verschmitzt an. Das war
unsere letzte Begegnung.
Dein Text spricht für sich selbst! Deshalb ist ein Kommentar nicht nötig!
AntwortenLöschen