Samstag, 4. August 2012

DAS BÜHNENSCHWEIN


Ein menschliches Wesen, männlich oder weiblich, das sich auf einer Bühne, im öffentlichen Raum, wohlfühlt, und mit allen Situationen zurecht kommt, nennt man, als Kompliment gemeint, „Bühnenschwein“. Wenn Männer besonders männlich wirken wollen, sagen sie „Rampensau“, mit grollendem „R“ und zischender „Sau“, je flacher der Witz, desto hoch das Gefühl.
Es muß im letzten Kindergartenjahr gewesen sein, mein Sohn und ich waren unterwegs, einkaufen im Supermarkt hinter dem Prinzenweiher. Auf dem Weg zur Kasse kamen wir am Spirituosenregal vorbei. Ach ja, einen Wodka würde ich gern mal wieder trinken, kam mir in den Sinn, und ich streckte den Arm aus, der sofort von zwei kleinen Händen gepackt und runtergezogen wurde. „NEIN PAPA, KEINEN SCHNAPS KAUFEN“ Es war deutlich bis hinter die letzte Thunfischdose zu hören. Vorhang auf, Licht an, Riesenpublikum, Text vergessen. Erwartungsvoll grinsende Gesichter um mich herum, man glaubt es nicht, wie viele Menschen sich im Supermarkt zwischen zwei Regalreihen mal eben so aufhalten.
Das breiteste Grinsen neben und etwas unter mir, meinen Arm festhaltend. Versinken?
Verlockend, aber auch innigstes Flehen kann den Boden unter mir nicht erweichen. Da quiekt es leise und beruhigend in meinem Hinterkopf: In wievielen Bierzelten und Mehrzweckhallen hast Du eigentlich in den letzten zwanzig Jahren als Unterhaltungsmusikant allen Gefahren getrotzt und tapfer jeden Witz belacht? Jetzt bist Du eben selber mal einer, geht vorbei! Ich beginne ebenfalls zu grinsen, packe den Wodka in den Einkaufswagen und schlendere lässig weiter zur Kasse, dabei locker mit meinem Sohn parlierend. Das Publikum wendet sich enttäuscht ab, etwas väterliche Verzweifelung hätte es schon sein dürfen, vielleicht sogar ein Ausraster, aber ohne Gage ist eben nicht mehr drin.
Ich bin noch nicht mal rot geworden.

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