Sonntag, 21. April 2013

Der Ausweg

Selbst ein Nervtöter wie meine MS-Erkrankung hat skurrile Seiten, die bei mir für Heiterkeit sorgen und so erträglich bleiben. Eines der ältesten Symptome ist eine Lähmung von linker Hand und Arm, die sich unvermittelt einstellt und mich  zum einarmigen Banditen macht. Nach einer Weile verschwindet sie wieder, es bleibt höchstens mal ein leichtes Kribbeln in den Fingern. Mit dem Saxophon auf der Bühne habe ich es überstanden, aber neulich beim Schachabend …
Ich stand vom Brett auf und ging zur Toilette, als die Hand in den Streik trat. In der Kabine versuchte ich, mich anzuziehen, vergebens, dem Knopf an der Jeans war einarmig nicht beizukommen. Ich saß auf dem Deckel, wartete, hörte andere Männer vor der Kabinentür und dachte, ein Kneipenklo nach 22.00Uhr ist ein ungeeigneter Ort, um jemanden um Hilfe beim Hosenknopf zu bitten. Das Problem löste sich irgendwann von selbst, ich kehrte in die Zivilisation zurück.
In meinem Leben gibt es zwei Bereiche, in denen der Frauenanteil deutlich unter zehn Prozent liegt: Die Jazzmusik und das Schach. Glückspilz, der ich bin, habe ich faszinierende weibliche Wesen kennengelernt, die Charakter, Kopf und Aussehen so miteinander verbinden, daß ich keinen Schnaps mehr brauche, um das Leben zu genießen.
Gemeinsam ist ihnen ein Hauch von Melancholie in den Augen, der ihren Abstand von der Oberflächlichkeit ausdrückt. Eine davon, ich nenne sie gern „die weiße Dame“, war bei diesem Schachabend dabei. Ich erzählte, was ich erlebt hatte, sie meinte nur: Du hast doch dein Handy dabei, wenn das nochmal vorkommt, rufst du an und ich hole dich raus. Und wenn dann einer dazukommt und fragt: „Was macht ihr denn hier?“ Dann sagen wir:
Wir sind zum Schachspielen verabredet.“ Der Moment der Verblüffung sollte ausreichen, um in Ruhe das Weite zu suchen.

Für anja13

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